Goethe und Lavater im Gespräch über den christlichen Glauben

Erkenntnis des Göttlichen oder Bekenntnis zu Jesus Christus

Von: Horst Jesse

Wie ein roter Faden zieht sich durch die deutsche Geistesgeschichte das fortlaufende Gespräch zwischen dem christlichen Glauben und der Möglichkeit einer autonomen Persönlichkeit im Sinne der Aufklärung. Der Aufklärer und Dichter Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) und der fromme Pfarrer und Dichter Johann Kaspar Lavater (1741–1801) haben darüber einen intensiven Meinungsaustausch geführt. Horst Jesse, Vorstandsmitglied der Goethe-Gesellschaft München, fasst ihn zusammen.

Glaubensgespräche zwischen Tradition und Moderne

Lavaters »Aussichten in die Ewigkeit« (1768/69), die der Aufklärung den Kampf ansagen und das neue Gotteserlebnis des Genies begründen, treffen den Nerv der Zeit. Goethe bespricht das Werk 1772. Lavater beeindruckt durch seinen Realismus und vor allem durch den Blick für die Physiognomie jedes Gesichtes, als Ebenbild Gottes, Einheit von Leib und Seele. Goethe kommt auf seiner Schweizreise mit ihm zusammen und wirkt an den Bänden »Physiognomische Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe« (1775–79) mit. Er ist von der Totalität dieses »Sehers« begeistert.1

In »Dichtung und Wahrheit« beschreibt Goethe in reflexiver Weise seine christliche Sozialisation. Er verweist auf die pietistischen Gebetsstunden in seinem Elternhaus und zeigt bereits seine religiöse Eigenständigkeit, wenn er symbolisch »mehr Licht« fordert, um mehr Erkenntnis in der Frömmigkeit zu gewinnen. Damit eröffnete er für sich das immerwährende Glaubensgespräch zwischen Tradition und Moderne.

Bei einem gemeinsamen Dinner in Koblenz 1774 mit Lavater und dem antichristlichen Basedow notiert Goethe in ein Album: »Prophete rechts, Prophete links, / Das Weltkind in der Mitte.« Damit hat er seinen Standpunkt während des religiösen Gesprächs in der Aufklärungszeit beschrieben. Er als »Weltkind« sieht sich bestimmt durch Empfindung und Vernunft und beeinflusst durch die religiöse Unterweisung. Demgegenüber ruht Lavater als Pfarrer und bekennender Christ in seinem biblischen Glauben.

Trotz ihrer Gemeinsamkeit als Dichter und Forscher unterscheiden sich Goethe und Lavater in ihren Ansätzen zum Glaubensdenken und in ihrem Bild vom Menschen. Goethe in seiner Begeisterung für die Antike und die Naturwissenschaften hat mit seinem »privaten Christentum« eine andere Vorstellung vom Menschen als autonomem Wesen als Lavater. Dennoch bekennt er sich immer wieder als Christ: »Wo ist denn noch heutzutage ein Christ, wie Christus ihn haben wollte? – Ich allein vielleicht, ob ihr mich gleich für einen Heiden haltet.«

Glaubensgespräche sind geprägt von verschiedenen Vorstellungen und Charaktereigenschaften. Sie geschehen subjektiv und nicht objektiv wie die der Naturwissenschaftler. Goethe trennt keineswegs Glauben und Denken, sondern will in Anlehnung an die sokratische Gesprächsweise die Wahrheit des Glaubens herausfinden. In diesem Punkt bleibt er guter Lutheraner, der sich nur durch die lebendige Tradition und die Vernunftargumente überzeugen lässt.

Lavater und Goethe betonen die Betroffenheit durch den Glauben, aber sie sehen sie unterschiedlich. Goethe denkt subjektiv. Er will wissen – wie es in seinem »Faust« heißt. Lavater sieht sich durch die Aussagen der Bibel (»deus dixit«) objektiv angesprochen. Wegen dieser theologisch verschiedenen Denkansätze ist die sehr persönliche Freundschaft zwischen Lavater und Goethe zerbrochen.

Unterschiedliches Verständnis der Bibel

Deutlich wird der Unterschied zwischen beiden auch in der Betrachtung der Bibel. In der Zeit der Aufklärung wird die Bibel einer historisch-kritischen Analyse unterzogen. Ortho¬doxe Bibelgläubige und kritische Bibelleser stehen sich gegenüber. Auf eine Anfrage, ob er die Bibel lese, antwortet Goethe der frommen Julie von Egloffstein: »Oh ja, meine Tochter, aber anders als ihr.« Um das Alte Testament verstehen zu können, lernt Goethe Hebräisch. Während des historisch-kritischen Studiums des Alten Testaments entdeckt er, dass mehrere biblische Berichte zweimal erzählt werden, so die Erschaffung des Menschen, die Sintflutgeschichte usw. In Büchern veröffentlicht Goethe seine Gedanken dazu. Die Entdeckung der einzelnen Überlieferungsschichten des Alten Testaments sichert Goethe für 150 Jahre das Lob der alttestamentlichen Wissenschaftler. Bereits gegenüber der Verbalinspiration hat Goethe betont, dass die Bibel nach der Denkweise und Fassungskraft des Menschen geschrieben ist. Er fragt nach der Absicht der biblischen Geschichten und stellt fest, wie schwer sich das Volk Israel mit der geschichtlichen Genese des Monotheismus getan habe. Durch die Anleitung Herders: »Vom Geist der Ebräischen Poesie« lernt er die orientalische Poesie verstehen und schreibt den »West-Östlichen Divan«. Gegen ein Umschreiben der Bibel für den zeitgenössischen Menschen, wie es ein Gießener Theologieprofessor getan hat, spricht sich Goethe allerdings entschieden aus.

Während seiner Studentenzeit in Leipzig lehnt Goethe die verinnerlichte Kirche zugunsten der »unsichtbaren Kirche« ab, wie sie Lavater in einer Schrift »Jesuitismus und Katholizismus« von 1786 dargelegt. Ihm gegenüber äußert er 1782 seine Glaubenshaltung: »Ich bin still und verschweige, was mir Gott und die Natur offenbart.« Er sieht sich als »naturforschenden Pantheisten und dichtenden Polytheisten«. Goethe erkennt einerseits die Natur als beseelt, andererseits bleibt er Theist und fühlt sich vom Mysterium des Göttlichen durchdrungen. Die Natur wird eine seiner Offenbarungsquellen, weil in ihr die »ewigen, notwendigen, dergestalt göttlichen Gesetze« wirken.

Lavaters Buch »Pontius Pilatus« von 1784 kann Goethe aufgrund seiner historisch-kritischen Forschung nur insoweit zustimmen, als dieser über Christus psychologisch und nicht metaphysisch denkt. An Lavater schreibt er: »Da ich zwar kein Widerkrist, kein Unkrist aber doch ein dezidierter Nichtkrist binn, so haben mir dein Pilatus und so weiter widrige Eindrücke gemacht.« (29.7.1782) Ansonsten verurteilt er Lavaters Buch als »albernste Märchen mit Anbetung«. Beide kommen gedanklich nicht zusammen, weil Lavater ontologisch argumentiert (»Es ist«), Goethe dagegen vom Gefühl und der Ratio her. Bereits im Gespräch 1774 sagt er gegenüber Lavaters »Deus dixit«, dass er keine Bekenntnisse benötige. Er will die Botschaft hören. Entscheidend für ihn ist, »dass man glaubt«, und nicht so sehr der Inhalt des Glaubens wie er 1792 in der Kampagne in Frankreich darlegt. Goethe denkt nicht als Theologe, sondern als Dichter, der über die Vielfalt des menschlichen Daseins reflektiert. Religion erscheint ihm nur dann relevant, wenn sie das Humanum fördere und zur Vollendung bringe. Erst Johann Gottfried Herder (1744–1803) erschließt ihm das Menschsein als seinshafte Entsprechung zum Schöpfertum Gottes.

Versöhnung von antiker und christlicher Welt

Goethe kennt theologiegeschichtlich die Orthodoxie und den Pietismus. Er findet aber für seinen Glauben und sein Denken keine Verbindung beider, die seiner Persönlichkeitsvorstellung entgegenkommt. Er vermisst die Versöhnung von antiker und christlicher Welt. Goethe hat sich intensiv mit dem pietistischen Menschbild und dessen Sündhaftigkeit auseinandergesetzt. Sie widerspricht seinem Selbstwertgefühl als Menschen. Während seiner Straßburger Studentenzeit befreit er sich von der pietistischen Anthropologie durch sein »Prometheus-Fragment«, in dem er die Selbstbehauptung des Menschen gegenüber Zeus betont. Durch seine Beschäftigung mit der Antike wächst der Gegensatz zu seiner religiösen Sozialisation und zu seinen gläubigen Freunden. 1781 äußert er sich ironisch gegenüber Frau von Stein: »Sie gehen wohl in die Kirche und sagen ihrem Haiden vorher ein Wort.« Als Getaufter kann Goethe kein Heide sein. Vielmehr gesteht er ihr seinen mangelnden Kirchgang. Durch seine so¬kratische Dialogmethode möchte Goethe mit seinen gläubigen Gesprächspartnern das Wesen des christlichen Glaubens herausfinden. Gegenüber den erlebten herrnhutischen Zus¬ammenkünften, die ihm zu rigoros und institutionell verfestigt erscheinen, betont er gegenüber Susanne von Klettenberg die Geistkirche.

Goethe gelingt es nicht, ein Bekenntnis im Sinne der Kirche und der Pietisten zu Jesus als seinem Erlöser auszusprechen. Er will sich im Glauben nicht entscheiden und binden, sondern frei sein, um Dichter zu werden. Er wehrt sich gegenüber Lavaters Bekehrungsversuche: »Freilich bin ich mit allem dem kein Christ, aber ist das die Sache eines Menschen, mich dazu zu machen. Ich hoffe, … mit der Zeit ein guter Autor zu werden«. Dennoch betont er immer wieder, im Glauben den inneren Frieden gefunden zu haben. Durch sein Bibelstudium gewinnt er für sich selbst einen Glaubensstandpunkt.

Im Großen und Ganzen erwachsen Goethes Glaubensschwierigkeiten aus seinen Alltagserfahrungen mit Mitchristen, die lieblos über den Glauben der anderen urteilen. So gesteht er Lavater: »Nirgendwo wird Christus mehr verfolgt als bei den Christen«. Seine kriti¬schen Äußerungen gegenüber den christlichen Vorstellungen entspringen immer wieder seiner inneren Spannung von Gefühl und Rationalität. Rationalistisch versucht er die Sakramente in seiner Schrift »Brief des Pastors zu xx«(1770) und den Inspirationsbegriff der Bibel in »Zwo wichtige bisher unerörterte biblische Fragen zum erstenmal gründlich beantwortet, von einem Landgeistlichen in Schwaben« (1793) zu erklären. Seine gläubigen Zeitgenossen können seine verstandesmäßigen Glaubensprobleme jedoch nicht nachvollziehen.

Nach der Lektüre von Goethes theologischen Büchern bittet Lavater, der auf Bekenntnisentscheidung pocht, ihn, sein Christusbild zu beschreiben. Goethe weicht aus: »Ich bin kein Christ«. Zwar weiß er um die Person Jesu Christi als der Mensch gewordenen göttlichen Liebe. Doch er weigert sich, Christus als Gott¬sohn zu bekennen. Er sieht ihn als eine große geschichtliche Persönlichkeit wie: »Moses! Propheten! Evangelium! Apostel, Spinoza oder Machiavelli.« Lavater antwortet ihm mit dem Bekenntnis: »Wir haben einen Messias, er ist der Messias«. Goethe denkt von der Wirkgeschichte der Personen her, Lavater vom Glaubensgrund in Christus: »Schrieb auf Goethes Tisch: O Bruder, gedenke, daß ich bin, und daß ich immer mehr gewiß bin, daß Er ist.«

In »Dichtung und Wahrheit« schildert Goethe den Gegensatz beider: »Hier standen nun zwei entschiedene Christen gegeneinander über, … jeder Mensch habe seine eigene Religion, seine eigne Art der Gottesverehrung.« Er reagiert auf Lavaters religiöse Unduldsamkeit mit »allerlei Paradoxie und Extremen«. Für Goethe bleibt das Evangelium ein Zeugnis der menschlichen Geschichte und nicht der göttlichen Heilsgeschichte, so dass er sagen kann: Gott erscheint in der Natur und nicht im Mirakel.

Lavater spürt, dass Goethe von dem Philosophen Spinoza (1632–1677) und seinen Schriften beeinflusst ist und in ihm einen Geistesverwandten für seine Vorstellungen der Gottheit und des Heilands gefunden hat. Spinozas Formel »deus sive natura«, meint, Gott ist die innere Gesetzlichkeit der Welt selbst, Gott und Natur sind eins, die eine unendliche Substanz. Was menschlicher Intellekt erkennt, sind nur zwei Attribute: Geist und Körper. Ordnung und Zusammenhang der Ideen sind mit der Ordnung der Dinge identisch. Spinozas Philosophie wird für Goethe die stillschweigende Voraussetzung seiner naturwissenschaftlichen Untersuchungen und Erkenntnisse. Aufgrund seiner Entdeckung des Zwischenkieferknochens wendet er sich von der Religion der Offenbarung zur Religion der Vernunft. Für ihn ist Spinoza kein Atheist, der das Dasein Gottes leugnet, sondern im Gegenteil: das Dasein ist Gott. Spinozas Ethik zeigt Goethe das Christentum Jesu Christi als eine Religion der Humanität und zwar nicht als die letzte. Spinozas Gedanken führen ihn aus der pietistischen persönlichen Glaubenshaltung zur Erkenntnis seiner Schaffenskraft als das Wesentliche des Menschen. Spinozas Gottesvorstellung unterstützt Goethes Anschauung der sittlichen Person, die auf natürliche Weise in einer Gottesbeziehung steht. Der spinozistische Gottesbegriff, der keine Geschichte kennt, hindert Goethe, in Jesus Christus den sich offenbarenden Gott zu verstehen. Ganz im Sinne Spinoza verehrt er Gott in der Schöpfung und sieht Gottes Schöpfung als eine Produktivität, die sich im Sohn und dann im Heiligen Geist ereignet und weiterwirkt. Er entwickelt mit Hilfe der spinozistischen Philosophie und der Bibel seine eigene religiöse Anschauung.

Die Religion der Heiligung des Schmerzes

Goethe kann aufgrund seiner Persönlichkeitsvorstellung weder der biblisch-theologischen Sicht des Menschen als Sünder noch der Erlösung durch Christus zustimmen. Er sieht den Menschen in die Spannung zwischen Heilsamem und Unheilsamem hineingenommen. Goethe ist sich bewusst, dass für den Menschen die Erlösung von Ewigkeit her beschlossen ist. Seine Glaubenserfahrungen während der Leipziger Krankheit vertiefen sich nicht für ihn, sondern wie er im »Faust« ausdrückt, hört er zwar die biblische Botschaft, doch es fehlt ihm der Glaube, Gottes Heilstat zu begreifen. Seine Erlösungsvorstellung geschieht nicht durch den Glauben, sondern durch immer »strebendes Bemühen«. Mit diesen Gedanken reiht er sich ein in die Erziehungsvorstellungen eines Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) und von Herders »Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit«. Nach Goethe vernimmt der Mensch als Geistwesen die Sprache Gottes in der Schöpfung. Die menschliche Geschichte zielt auf Humanität ab. Die Religion veredelt die menschliche Natur und erinnert den Menschen an seine Göttlichkeit durch die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus. Für Goethe bleibt der Mensch »Gleichnis« Gottes und mit nachschaffenden Fähigkeiten – im Sinne des »Prometheus« – ausgestattet.

Von seinem Denken her hat Goethe gegenüber Jesus Christus ein ambivalentes Verhältnis. Er sieht ihn nicht wie die Pietisten als seinen Erlöser an, sondern als einen vorbildlichen Menschen. Während seiner kirchlichen Trauung mit Christiane Vulpius 1810 in der Sa-kristei der Weimarer Kirche stört er sich am Corpus des Gekreuzigten. Das Kreuz erscheint ihm als »leidiges Marterholz«. Deshalb setzt er in seiner Kreuzesmeditation das Rosenkreuz an die Stelle des christlichen Leidenskreuzes.2 Die Erlösung durch das Kreuz ersetzt Goethe durch sein Ideal der neuen Humanität, die sich für ihn im tätigen Leben zeigt. Trotzdem erkennt er die Bedeutung des Christentums gegenüber den anderen Religionen durch dessen Heiligung des Schmerzes, der Armut, des Elends und des Todes im Kreuz Jesu. Es weist den Weg vom Irdischen allein über den Schmerz zu Gott. Wegen der Heiligung des Schmerzes wird nach Goethes Ansicht das Christentum niemals unter¬gehen.

Dennoch äußert sich Goethe entschieden gegen die Zurschaustellung des Kreuzes, weil es nach ihm das Würdigste gemein und abgeschmackt macht. Für ihn verkörpert Jesus die Religion der Weisen. Sein Leben wie auch seine Lehre richten sich an den Einzelnen. Goethe schätzt den irdischen Jesus und verurteilt die Bezeichnung Jesu als Gottessohn durch seine Jünger als Überschreitung des Menschenmöglichen. Jesus fordert nach ihm den Menschen auf, die drei idealen Zielvorstellungen, Gott, Unsterblichkeit und Tugend, zu erfüllen.

Goethe ist Zeit seines Lebens in Glaubensdingen nicht zu einem Glaubensbekenntnis gelangt. Er bleibt bei der Verehrung. Deutlich wird dies in seiner Äußerung gegenüber Johann Peter Eckermann (1792–1854) im Jahr 1832: »In den Evangelien sei der Abglanz einer Hoheit wirksam, der von der Person Christi ausging und die so göttliche Offenbarung des höchsten Prinzips der Sittlichkeit. Fragt man mich, ob es in meiner Natur sei, ihm anbetende Ehrfurcht zu erweisen, so sage ich: Durchaus! Ich beuge mich vor ihm als der göttlichen Offenbarung des höchsten Prinzips der Sittlichkeit. Fragt man mich, ob es in meiner Natur sei, die Sonne zu verehren, so sage ich abermals: Durchaus! Denn sie ist gleichfalls Offenbarung des Höchstens, und zwar die mächtigste, die uns Erdenkinder wahrzunehmen vergönnt ist. Ich anbete in ihr das Licht und die zeugende Kraft Gottes, wodurch allein wir leben, weben und sind, und alle Pflanzen und Tiere mit uns.« Goethe argumentiert in seiner Glaubenshaltung gemäß Acta 17.

Zwar kommt für Goethe Jesus dem Menschen durch seine Menschwerdung nahe. Doch durch die Benennung seiner Göttlichkeit entzieht er sich dem Menschen. Gegenüber Lavater argumentiert Goethe 1781, dass sich die Gottheit in einer unendlichen Fülle endlicher Gestalten entfalte und nicht nur in Christus allein. Damit rückt Goethe im Sinne der Aufklärung die Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit in den Mittelpunkt seines Denkens und Glaubens und nicht die Erlösung durch Christus.

Durch die Gespräche mit Lavater hat Goethe seine eigenen religiösen Anschauungen entwickelt, die bis heute ihre Wirkgeschichte zeigt, so die Gottesverehrung in der Natur und Jesus als sittliche Person. Trotzdem wird ihrer beider Gespräche um das Heil des Menschen in der Geschichte fortgesetzt. Es bedarf in der Theologiegeschichte immer wieder des Ausgleichs und der Wechselbeziehung zwischen Orthodoxie, Pietismus und anthropologischer Philosophie.

Anmerkungen:
1 Johann Wolfgang von Goethe: Dichtung und Wahrheit, IV. Teil, 19. Buch.
2 Johann Wolfgang von Goethe: »Die Geheimnisse« 1782.

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft: 10/2007, S. 557

Pfarrer Dr. Horst Jesse, Berlstraße 6a, 81375 München