Die Marktwirtschaftsordnung bei Adam Smith und Amartya Sen als Wege zu Gerechtigkeit und Solidaität in der Welt

Referat Von Horst Jesse im Panel "Theoretical Problems of a History of Globalization" am Freitag, 4. Juli 2008

A) "homo oeconomicus"
Wechselverhältnis von Philosophie und Wirtschaft

Ökonomie bestimmt neben Politik und Religion das menschliche Leben. Über das Wesen der Ökonomie zu sprechen bedarf es der Philosophie, weil die Wirtschaftslehre sich nicht selbst die moralischen Vorstellungen geben kann. Durch die Relation Ökonomie und Philosophie gelingt es, eine rationale Vorstellung über ökonomische Zusammenhänge und menschlichen Lebens zu finden. Aus der Geschichte können ökonomische Anschauungen eines Adam Smiths auch heute noch Anregungen zur Lösung ökonomischer Gegenwartsfragen geben. So greift Amartya Sen aus Indien auf sie zurück.

Das Wort Ökonomie hat seine Wurzeln im griechischen Wort "oikonomos", Haushaltung, Hausverwaltung; Führung eines Hauses. Mit diesen Worten wird wirtschaftliches Geschehen benannt. In seiner Philosophie beschreibt Aristoteles, dass die Wirtschaftsform nicht durch Autarkie und Deckung eines konstanten Bedarfes bestimmt ist, sondern auch durch Tauschwerte und Gelderwerb.

Die Wirtschaft erscheint als eine Ordnung "sui generis", die in sich selbst ruht und ihren eigenen Gesetzen folgt. Die Sinnfrage der Ökonomie ist als die einer Seinswissenschaft zu verstehen, die Menschenleben und Gesellschaftsleben bestimmt. Auf die Gestaltung der Wirtschaft einzuwirken, heißt das ökonomisch Sachgemäße zu beachten, das nicht vom Menschen abstrahiert werden soll, weil Wirtschaft menschliche Bedürfnisse abzudecken versucht. Mit dem Modell des "homo oeconomicus" wird versucht das wirtschaftliche Verhalten des Menschen rational zu bestimmen, das vom menschlichen Eigeninteresse geleitet wird wie auch das Gesamtinteresse befördern möchte. Zu den Gesetzen der Wirtschaft gehört die Ethik dazu, um menschengerecht zu sein. Der Mensch hat im Mittelpunkt der Wirtschaft zu stehen. (1) Notwendig erscheint die ethische Dimension vernünftigen Wirtschaftens. (2) Die Vernunftsethik in der Wirtschaft zielt auf den mündigen Wirtschaftsbürger ab, der in einer freien demokratischen Gesellschaft möglich ist. Die Wirtschaftsordnung der freien Marktwirtschaft wird geprägt durch drei wesentliche Strukturmerkmale, nämlich a) durch private Verfügung über Produktionsmittel, b) durch Markt- und Preismechanismus als Koordinationsmittel und c) durch die Gewinn- und Nutzenmaximierung als wesentlicher Motivation der Wirtschaftenden.

Wie dies geschieht, soll an den Wirtschaftsvorstellungen von Adam Smith und Amartya Sen dargelegt werden.

B ) Adam Smiths Vorstellung von Ökonomie

a) Wechselverhältnis von Hedonismus und Triebverzicht in der Wirtschaft

Der Begründer der heutigen Nationalökonomie Adam Smith (1723-1790) schrieb in zwei Abhandlungen: 1759: Theory of Moral Sentiments (= Theorie der ethischen Gefühle) und 1776: An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (= Der Wohlstand der Nationen), wie die Ökonomie aus der Moralphilosophie entstanden ist. Er vermisste das Regulativ der ethischen Normen in der Ökonomie, die bestimmt werden durch den Hedonismus der Konsumsphäre und den Disziplin- und Triebverzsichtsforderungen der Produktionssphäre. Die Frage beherrschte ihn, ob der Wirtschaftsprozess ein befreiender oder ein entmenschlichter sei? Karl Marx sprach in diesem Punkt von einem sowohl als auch. Eine menschenwürdige und gute Wirtschaftsordnung hat die Spannung zwischen den Bedingungen der menschlichen Natur und der Knappheit der Ressourcen zu lösen. Die Moralität der Wirtschaft geht aus der Funktion der Wirtschaft und der Selbstverwirklichung des Menschen hervor. Das Wirtschaftsgeschehen wird bestimmt durch Arbeits- und Tauschbeziehungen und ihrer subjektiven Bewertung durch die Subjekte. Während Arbeitsbeziehungen den zugeschriebenen Status und der administrierten Preisfestsetzung objektivistisch-ontologisierenden Anschauungen der Wirtschaft entsprechen. Die Spannung zwischen Autonomie des Marktes und der Wertrationalität des Individuums ist sozial verträglich zu lösen, so dass es zu einer "kommutativen Gerechtigkeit" kommt.

Lange Zeit ähnelte das ökonomische Ordnungsprinzip dem der Ontologie, nämlich zentrale Lenkung und Unterordnung. Die Wirtschaftstheoretiker der Aufklärung strebten nach einem Gleichgewichtsmodell zwischen Markt und Individuum, wie auch eine Integration beider Größen. So sah Adam Smith den Wohlstand einer Nation bestimmt durch die drei Produktionsfaktoren: a) Boden, b) Arbeit und c) Kapital wie auch durch die bestmögliche Verteilung.

Die Preisbildung setzte sich zusammen aus dem natürlichen Preis der Produktion und dem Marktpreis. Die Suche nach einer gerechten Wechselbeziehung zwischen Produkt und Markt lässt nach Smith das Selbstinteresse des Menschen am "ethischen Gefühl" aufkommen. Er ergreift aus eigenem Interesse die Sympathie und Gerechtigkeit für andere Menschen und befolgt freiwillig so die gemeinsamen Regeln der Ethik. Dies ist die Voraussetzung eines Marktgleichgewichts. Der Staat hat als Garant der Gerechtigkeit zu fungieren, um die ökonomische und politische Konkurrenz auszubalancieren.

Für den Aufklärer Adam Smith gründet das Marktsystem wie auch die Demokratie in der Freiheit des Menschen, die sich ihre Zwecke selbst setzen und die Freiheit des anderen berücksichtigen.

b) Moralvorstellungen und unparteiischer Zuschauer

Adam Smith entwarf sein ökonomisches System vom "moral point of view". Denn das Phänomen der humanen Moralität ermöglicht eine tragfähige Grundkonzeption des vernunftsethischen Wirtschaftens zu bestimmen. Es zielt auf gutes Leben und gerechtes Zusammenleben (=sozioökonomischer Verhältnisse). Voraussetzung dazu ist, dass die Marktwirtschaft in eine wohlgeordnete Gesellschaft freier Menschen eingebettet sein muss. Das Wechselverhältnis von Individual- und Institutionenethik wie auch der republikanische Liberalismus mit seinen Bürgertugenden und seiner Mitverantwortung sind angesprochen.

Nach Adam Smith bestand die moralische Integrität in der Achtung der Bezugsperson. wie auch der zwischenmenschlichen Reziprozität. Dies ermöglichte nach ihm die gedankliche "Spiegelung" (Selbstreflexion) des Standpunkts des Anderen aus der zwischenmenschlichen Beziehungs- und Bindungsfähigkeit (=soziale Identität), wie auch die Achtung seiner moralischen Ansprüche und Rechte und vor allem der moralischen Gleichberechtigung. (3) Um dem gerecht zu werden, bedarf es des universalistischen Standpunktes der Moral. Smith weiß, dass dieser nur ein imaginärer und zwar ein unbeteiligter und unparteiischer Zuschauers sein kann. (4) Doch anstatt von "sub specie aeternitatis" zu sprechen, betont er: "Es ist Vernunft, Grundsatz, Gewissen ... der große Richter und Schiedsrichter über unser Verhalten." (5) Smith als Deist betont die Rationalität. Er folgerte, dass es die vernünftige moralische Beurteilung der moralischen Gefühle bedarf, unter denen die "Sympathie" als zwischenmenschliches Einfühlungsvermögen, eine wichtige Rolle spielt. (6) Dem sympathisierenden Rollentausch mit anderen Menschen eignet das Vermögen der kritischen Selbstreflexion menschlicher Beweggründe und Handlungsweisen. "First moral criticisms are exercised." Die "Selbstbeherrschung", entsprungen aus der sozialen "Korrespondenz der moralischen Gefühle", entwickelt ein moralisches Pflichtgefühl und Schuldgefühl gegenüber anderen Menschen wie auch gegenüber der moralischen Gemeinschaft, der er angehört. (7) Smith fordert vom Menschen das Vermögen der moralischen Selbstkritik und die Einbeziehung durch die Bewertung des gerechten Zuschauers, den I. Kant später als die moralische Autonomie der Person und als kategorischen Imperativ bezeichnet. (8) Der autonome Vernunftstandpunkt ist Gegenspieler der Selbstliebe und der "egoistischen Affekte" und bringt den menschlichen "guten Willen" zur Achtung der "allgemeinen Regeln der Sittlichkeit". (9) Smith entwirft auf diese Weise ein Moralprinzip autonomer moralischer Selbstbindung ohne die Idee der personalen Autonomie moralphilosophisch aus dem sozialen Kontext herauszulösen. In seinen Gedanken bleibt er seinem christlichen Kontext treu und sieht als Deist den Menschen als Gottes Schöpfung an. Erst I. Kant hat die normative Gültigkeit des Moralprinzips strikt vernunftsethisch begründet.

c) Markt

Wirtschaftliches Handeln geschieht auf den Märkten. Die Industrialisierung fordert den Übergang von tradierten Normen und Regeln zum Prinzip der Marktkoordination. Als Problem erscheint der Verlust der Wertmaßstäbe des wirtschaftlichen Prozesses angesichts der ökonomischen Selbstbehauptung im Wettbewerb konkurrierender Anbieter von Gütern oder Produktionsfaktoren wegen der Nachfrage. Die calvinistische Tradition wie auch der Puritanismus vermochten dieser "herrenlosen" Herrschaft des Marktes einen höheren Sinn abzugewinnen. Sie nahmen hinter dem Determinismus der Marktgesetze den freien Willen des Schöpfers an. Die Eigengesetzlichkeit des Marktes zeigte sich ihnen also Ausdruck des göttlichen Gesetzes im Sinne des Deismus und der ihnen entsprechenden guten Ordnung des Kosmos als ökonomischer Kosmos. (10) Adam Smith erkannte bereits die beginnende gedankliche Loslösung der zwanghaften Sachlogik des Marktwettbewerbs von religiösen und metaphysischen Begründungen. Trotzdem sah er im "einfachen System der natürlichen Freiheit", des marktwirtschaftlichen Koordinationsmechanismus das Zeichen des gültigen Wirkens "der unsichtbaren Hand" Gottes. (11) Geistesgeschichtlich stand Smith in der Tradition der "Hausväterliteratur" des 17. Jahrhunderts. (Wolf Helmhard von Hoberg "Georgica curiosa") Die frühmoderne, wirtschaftliche "Systemtheorie" ruhte also fest in einer Metaphysik des Systems.

Smith und seine Kollegen, wie David Hume, Adam Ferguson, die Deisten waren, glaubten an die immanente Sinnhaftigkeit und evolutionäre Fortschrittsträchtigkeit des von der "unsichtbaren Hand" wohlgeordneten ökonomischen Kosmos. Deshalb untersagten sie dem Staat ein Eingreifen in den Markt. Sie meinten, dass das eigeninteressierte menschliche Handeln unter den Bedingungen des "freien" Marktes gute Effekte erziele. Der Ökonom Friedrich A. von Hayek vertritt noch heute diese Position. (12)

Nach Adam Smith prägen folgende Gedanken die ökonomische Theorie:
-a) Das marktwirtschaftliche System wird von denen bejaht, die ein auf Markterfolg ausgerichtetes unternehmerisches Leben führen.
-b) Doch diejenigen, die diese Lebensform als Zwang wahrnehmen, sehen sich in der Entfaltung ihres Lebensentwurfs gehindert. Von daher ist die Sachlogik des Marktes nicht als Inbegriff einer übermenschlichen Vernunft anzusehen.
-c) Das Wirken des Marktmechanismus ist als ethisch-politische Gestaltungsaufgabe aufzufassen, nach der der Markt in eine wirklich sinnvoll gestaltete "höhere" Gesellschaftsordnung einzubinden ist. Karl Marx hat dies in seinem Buch "Das Kapital" dargelegt, in dem er dem Wirken des "freien Marktes" die politische Programmatik ihrer Überwindung gegenüberstellt. (13)
-d) Das Wirtschaftssystem ist als Sache gesellschaftspolitischer Gestaltung zu begreifen. Eine dualistische Gesellschaftstheorie hat zu entscheiden zwischen Systemrationalität und lebensweltlicher, ethisch-praktischer Vernunft. Als Problem erkennt Jürgen Habermas die Herauslösung der Wirtschaft als System aus lebensweltlichen Normen und Handlungsorientierung. (14) Adam Smith Frage nach der Selbstverwirklichung des Menschen im Marktwettbewerb bleibt aktuell.

d) Die Moral des Marktes und die Moral des Einzelnen

Nach Adam Smith regeln die Eigeninteressen der Einzelnen das Marktgeschehen. "Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bäckers erwarten wir, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen. Wir wenden uns nicht an ihre Menschen-, sondern an ihre Eigenliebe, und wir erwähnen nicht die eigenen Bedürfnisse, sondern sprechen von ihrem Vorteil". (15) Durch die Eigeninteressen der Menschen gewinnen beide Seiten. Wie bereits erwähnt werden die Wirtschaftssubjekte, die ihre Privatinteressen verfolgen, von einer unsichtbaren Hand geleitet und erbringen so ihren größtmöglichen Beitrag zum Gemeinwohl. Die dafür bestimmende Ethik müsste den Funktionsbedingungen des marktwirtschaftlichen Systems wie auch dem Einzelnen Rechnungen tragen. Smith weiß aber auch, dass Sachlogik die ökonomischen Probleme nicht löst, sondern nur ein vernünftiges Wirtschaften.

Aus diesem Grund zeigt er drei Wege dazu auf: 1) die normative Überzeugung der politischen Ökonomie. 2) die utilitaristische Weise; 3) die individualistische und vertragsethische Grundlagen reiner Ökonomik.

- Für Smith basieren die Entfesselung des Erwerbstrebens und das ihm korrespondierende Vertrauen in die unsichtbare Hand (=invisible hand) des Marktes auf dem schöpfungstheologischen Hintergrund (16). Es ist die prästabilisierte Harmonie des ökonomischen Kosmos. (17)) Smith kann auch problematische menschliche Handlungsweisen als Ausdruck der Weisheit Gottes sehen. (18) Im Sinne seines deistischen Weltbildes (= Gott als Uhrmacher) sieht Smith, dass die Natur zum Ziel der Gattung ihre Glückseligkeit und Vollkommenheit hat. (19)

Im Sinne des naturrechtlichen Denkens bestimmt nach Smiths das wirtschaftliche Erfolgsstreben des Individuums die gute und gerechte Ordnung der Gesellschaft. Der deistische Gott als großer Zwecksetzer richtet die Marktwirtschaft sinnvoll und gerecht aus. Das Wirtschaftssubjekt handelt in den Sachzwangstrukturen des Marktes im Sinne der unergründlichen Zwecke Gottes nur Gutes. Nicht die schwache moralische Kraft des Menschen, sondern der Markt wird damit als der Ort der Moral gedeutet. Auf diesem Hintergrund lässt sich Smiths einfaches System der natürlichen Freiheiten verstehen. Der einzelne darf bei seinem Gebrauch der Freiheit die Gesetze nicht verletzen und kann so im Wettbewerb seinen Erwerbsfleiß entwickeln. Neben seinen naturrechtlichen Vorstellungen erkennt Smith die rechtstaatliche Gerechtigkeit an (20). Um die Gerechtigkeit zu beobachten hat die Natur dem Menschen als Wirtschaftssubjekt das Schuldgefühl eingepflanzt. Unter diesen Bedingungen entwickelt der Bürger als moralische Person und als Besitzbürger den Erwerbsfleiß, der die Grundlage des modernen Unternehmerethos ist. Die unsichtbare Hand gleicht die ökonomischen Interessenverschränkungen am Markt zwischen der unvollkommenen zwischenmenschlichen Korrespondenz und den moralischen Gefühle aus. (21) So bleibt der Mensch mit seiner Ansicht immun gegenüber dem Marktradikalismus oder dem der technokratischen Verabsolutierung des "freien Marktes" des 20. Jahrhunderts. Bereits seine Zeitgenossen blendeten im anbrechenden Frühkapitalismus das von Smith beschriebene "Schuldgefühl in der Brust" aus. Damit war die Gerechtigkeit am Markt in Frage gestellt. Durch die Außerachtlassung des sogenannten "Gewinnprinzips" wird A. Smiths Wirtschaftssystem zu einem idealistischen. Trotzdem hat die liberale Volkswirtschaftstheorie seit Adam Smith mit theoretischen Mitteln unterstrichen, dass die "natürlichen" Kräfte im Marktkosmos von selbst sämtliche gesellschaftlichen Interessen-, Werte- und Normenkonflikte zu harmonisieren vermögen und dem Gemeinwohl zuarbeiten, sofern der Mensch mit seiner begrenzten Vernunft diese "eingebrachte Harmonie" des Marktsystems nicht stört. (22) Adam Smiths Ansichten (23), dass der Mensch den Markt nicht beherrschen kann, übernimmt F. A. von Hayek in seinen Büchern. (24)

e) Skepsis Adam Smiths

Adam Smith blieb skeptisch gegenüber idealistischen Vorstellungen in der Ökonomie. (25) Er betonte keine ökonomische "Laissez-faire-Doktrin" wie das 19. und anfangs das 20. Jahrhunderts mit ihren gesellschaftswirtschaftlichen verheerenden Folgen. Nach 1945 wurde der ordnungs- und prozesspolitische Gestaltungswille so Keynessianismus dem Ordoliberalismus und der Soziale Marktwirtschaft gegenübergestellt. 1980ff begann mit Reagonomics und Thatcherism die Debatte über "Deregulierung". Doch es stellten sich die sozialen Fragen wie Arbeitslosigkeit, Zweidrittelgesellschaft, ökologische- und globale Fragen angesichts eines wirtschaftlichen Fortschrittes und des globalen Wettbewerbs. Sie forderten eine Wirtschaftsethik und politische Ökonomie. (26)

Das Gespräch mit den ökonomischen Ansichten Adam Smiths lohnt sich angesichts der gegenwärtigen ökonomischen Diskussion über Markt und Individuum. Denn der globale Wettbewerb gibt verschiedene Lebensformen und Mentalitäten zu erkennen, die sich nicht feindlich gegenüberstehen. Ihr Lebensentwurf zielt auf eine bedürfniskritische Selbstbegrenzung. Dies ermöglicht den Wert der Lebensdienlichkeit wie auch die Berücksichtigung des Eigenwertes der Arbeit zu erkennen. Erkannt wurde seit Adam Smith, dass zu einem "integrativen" Wirtschaftsstil auch die Selbstbegrenzung der Marktorientierung gehört, um ein gutes Leben zu ermöglichen. (27) Demgegenüber betonen heutige Unternehmer den Wettbewerb. (28) Als ihr Ziel erscheint die Maximierung des Marktes. Im Zusammenspiel dieser zwei Wirtschafts- und Lebensstile werden die Selbstbegrenzer als Verlierer des Wettbewerbs angesehen und geraten in Abhängigkeit der wohlfahrtsstaatlichen Unterhalts- und Fürsorgeleistungen. Angesichts dieser Asymmetrie tendiert heute die Mehrzahl der Menschen in Richtung der wettbewerbsorientierten Lebensformen, die nicht wertneutral sind und auch von keiner "unsichtbaren Hand" gelenkt werden, sondern von egoistischen Interessen. Aus diesem Grund werden Anstrengungen getroffen, das Bewusstsein für einen Mentalitätswandel zu schärfen und eine Kurskorrektur auf breiter Basis zu fördern. (29) Dies fordert den Staat heraus, wie bereits Adam Smith erkannte, dass der "freie Markt" keineswegs eine Wirtschaftsform, sondern eine Gesellschaftsform ist, in der nicht mehr der einzelne entscheidet, sondern der Gesamtzustand aller Mitglieder. Geschichtlich ist offensichtlich, dass die ökonomische Gemeinwohlfiktion als freier Welthandel in kultureller Hinsicht keineswegs zu verwirklichen ist. Denn der Wettbewerb der Kulturen ist aufgrund der Wachstumsvermehrung im Voraus entschieden. Die normative Logik des Wettbewerbs sucht sich auch die dazu passende Lebensform. Eine totale "Marktgesellschaft" erscheint heute als sinnloser Selbstzweck, der als entwickelter Sozialdarwinismus nur eine neue Armut produziert.

Der Ausweg aus diesem wirtschaftlichen Teufelskreis des Wettbewerbs geschieht durch die Erkenntnis, dass die Menschen innerhalb des marktwirtschaftlichen Systems ihre notwendigen Lebensgrundlagen durch Leistung zu erwirtschaften haben. Die Tüchtigsten treten an die Spitze der gesellschaftlichen Pyramide und haben die Wahl ihres Lebensideals unter diesen Bedingungen auszuleben. Durch eine emanzipatorische Zeitpolitik lässt sich die Verkürzung der Lebensarbeitszeit vornehmen und die Erwerbsarbeit in der Gesellschaft gleichmäßig verteilten. (30) Heute ist zur Arbeitspolitik emanzipatorische Sozialpolitik zu entwerfen, die verhindert, dass Menschen in "strukturelle Passivität" abgleiten. Angestrebt wird eine ökonomische Grundsicherung als Idee allgemeiner Wirtschaftsbürgerrechte. (31) Nur durch diese Überlegungen lassen sich gleichberechtigte Lebensformen verwirklichen. Voraussetzung ist, dass das Bewusstsein durch Bildung gefördert wird und dass sich die Idee der Freiheit entwickeln kann.

Adam Smith wusste bereits, dass die Emanzipation des Menschen aus der Notwendigkeit der bloßen Existenzsicherung kulturellen Sinn erbringt. Die Kategorie "genug" ist keine ökonomische, sondern eine kulturelle Kategorie. Das Genug-haben-Können lässt Sinn aus innerer Freiheit und autonomer Selbstbestimmung gewinnen. (32) Um dies zu können, bedarf der Mensch eines geklärten Lebensentwurfs als Orientierungshorizont und einer personalen und sozialen Identität. (33) Adam Smith hat dies mit der "Korrespondenz der moralischen Gefühle" bereits angedeutet, dass der Mensch in der Sinngemeinschaft mit anderen Menschen als eigenständige Person "zu sich selbst kommen" könne.

f) Marktgeschehen und Regeln

Das Marktgeschehen sollte die Marktkräfte in die ethisch-politische Grundsätze und Spielregeln einer wohlgeordneten Gesellschaft einbinden. Leitende Gesichtspunkte sind die Legitimität und die Sinnhaftigkeit der Marktwirtschaft für menschliche Zwecke. Die Anreize, die der Marktwettbewerb auf die Wirtschaftssubjekte in ordnungspolitisch gewollter Weise ausübt, sollen deren Tun und die volkswirtschaftliche Entwicklung im Ganzen wie mit "unsichtbarer Hand" (Adam Smith) in eine lebenspraktisch vernünftige Richtung leiten. Alexander Rüstow spricht in diesem Sinne von einer Vitalpolitik. (34) Das Marktgeschehen ist für Adam Smith nach ethisch-praktischen Gesichtspunkten der Human-, Sozial- und Umweltverträglichkeit vorzunehmen, so dass ein funktionsfähiger und wirksamer Wettbewerb möglich ist. (35) Die Wechselbeziehung zwischen Gesellschaft und Markt steht im Dienst der Lebensdienlichkeit. Auf diese Weise wird nach Smith der Markt ein partielles Substitut für die sozial-moralischen Integrationskräfte einer liberalen Gesellschaft. Durch seine Moralphilosophie grenzt sich Smith von einer strikten wirtschafts-liberalen Laissez-faire- Position ab, in dem er im Marktgeschehen das Prinzip der Gerechtigkeit als soziale Bürgertugend betont. Für ihn ist derjenige ein guter Bürger, der den Wunsch hegt, mit allen Mitteln, die ihm zu Gebote stehen, die Wohlfahrt der ganzen Gemeinschaft seiner Mitbürger zu fördern. ( 36)

Adam Smith verband Philosophie und Ökonomie, wenn er im Sinne Leibniz eine "prästabilisierte Harmonie" als Voraussetzung eines ethisch guten Ergebnisses eines funktionierenden Marktes ansieht. Falsch ist es, den Markt im Sinne von A. von Hayek zur erhöhten Instanz des Denkens zu machen. Bereits der globalisierte Wettbewerb fordert eine Einbindung in eine Rahmenordnung von globalen Human-, Sozial- und Umweltstandards. Dies bestätigen die großen Weltwirtschaftskonferenzen und Umweltkonferenzen. Die Ordnungspolitik muss angesichts des globalen Wettbewerbes vor dem Markt da sein.

Die Gültigkeit ethischer Forderungen einer Wirtschaftsethik hängt davon ab, ob ihr Geltungsanspruch inter- oder transsubjektiv als notwendig angesehen werden kann. Das Gewinnstreben in Maßen ist heute ein Mittel unter anderen, um die sozialen Spannungen abzubauen und um Innovationsmaßnahmen vorzunehmen. Gewinnstreben wird in einer Erwerbswirtschaft in bezug auf Einkauf und Verkauf. als richtiggemeinte Maßnahmen angesehen

--Auch heute noch enthalten die Methoden Adam Smiths zukunftsweisende Gedanken für die gesellschaftliche Praxis. Gerade seine demokratischen Wirtschaftsgedanken: "Ich und der Andere" haben den Begriff des fairen Wettbewerbs geschaffen und gleichzeitig die politische Demokratie gestärkt. Die heutigen demokratischen Regierungen mit ihrer Gewaltenteilung ermöglichen eine freie Wirtschaftsform, den Wettbewerb wie auch die Marktwirtschaft. Die kommunistischen diktatorischen Staatsformen haben sich nach ihrem Zusammenbruch 1990 der Marktwirtschaft als neuer Möglichkeit geöffnet. Die westlich demokratischen Wertegemeinschaften enthalten eine Regelungspotenz in sich um Konflikte zu lösen.

In der freien Marktwirtschaft werden Eigeninteresse, Selbstverantwortlichkeit, wirtschaftliche Freiheit vom Kriterium der Rationalität beurteilt. Der Egoismus bedarf der Gegenwerte wie Allgemeininteresse, Solidarität, wirtschaftliche Bindung, um nicht marktzerstörerisch zu wirken. Für Adam Smith ist das Eigeninteresse, wie er es in der "Theorie der ethischen Gefühle" ausführt als das Gefühl für den anderen, ein fundamentales Motiv für effizientes Wirtschaften und damit für die Bildung des Wohlstandes in einem Lande. (37) Das solidarische Interesse für die anderen wie auch das auf Eigenwohl bedachte Selbstinteresse gehören zur Grundsubstanz des Menschlichen und wirken auf das Gemeinwohl hin. Aus diesem Grund erkannte Adam Smith die Freiheit als Freiheit in der Beziehung und der Bindung. Wiederum wird deutlich, wie er seine ökonomischen Ausführungen mit philosophischen und theologischen Gedanken so der Metapher der "invisible hand", die den Interessenausgleich zum Nutzen der Gesamtheit betreibt. begründet. (38)

Smith übersieht in seiner Doktrin der automatischen Interessenharmonie der Marktwirtschaft deren Ungerechtigkeit, weil er das ethische Sollen auf ein natürliches Sein zurückführt. Im Laufe der Geschichte der Marktwirtschaft wird deshalb seine "invisible hand" zu einer sichtbaren Hand des staatlichen Instrumentalismus und damit zur Regulierung der Marktwirtschaft. Die korrigierenden Eingriffe zeigen sich als notwendig, um den Ausgleich zwischen Stark und Schwach zu ermöglichen. Das System der Marktwirtschaft benötigt eine Pluralität von Ordnungsformen je nach dem Regulativ, das sie sich gibt.

Der westliche Liberalismus mit seiner utopischen Kraft und seinen ethischen Werten wirkt sich auf dem Globalismus aus. Es geschieht die praktische Umsetzung aus ihrer theoretischen Begründung in die praktische des freien Marktes. Im Spiel der freien Kräfte werden die sogenannten "imperialistischen Utopien" durch Regulierungsmaßnahmen der wirtschaftlichen Welt-Wirtschafts- und Welt-Handelsorganisationen, wie auch durch die möglichen Privatinitiativen korrigiert. Dies ist nur möglich durch das sich durchsetzende westliche Demokratieverständnis und vor allem der ethischen Begriffe von Freiheit und Gerechtigkeit. Gesehen werden muss, dass im globalisierenden Wirtschaftsprozess die westlichen Werte sich über historische, geographische, sprachliche, kulturelle und religiösen Grenzen hinwegsetzen und den westlichen Gesellschaftsentwurf umsetzen und Englisch zur Weltsprache machen. Aus dem Verhältnis von westlichem Humanismus - Mensch - Politik - Wirtschaft folgt eine politische Gestaltungsform von Verfassung, Jurisdiktion, Regierbarkeit. Dies führte seit 1945 zur Bildung der Weltorganisationen, wie UNO, WTO, Europäischer Union usw. und kirchlicher und regionaler Handelszentren, um die politischen und ökonomischen Probleme gemeinsam zu lösen. Die immer wiederkehrenden Weltwirtschafts- und Weltklimakonferenzen forcieren die Zusammenarbeit.

C) Amartya Sen setzt die ökonomischen Ansichten eines Adam Smith für die Unterschicht fort.

Amartya Sen zeigt in der gedanklichen Nachfolge des Adam Smiths auf, dass das Wechselspiel von Politik, Ökonomie, Werte zu einer freien gesellschaftlich-ökonomischen Balance führen kann. Damit unterstreicht er die sich selbstreguliereden Kräfte des freiheitlichen Marktes nach ökonomischen vernünftigen Gesichtspunkten. Er vertraut auf die Gesetze des freien Marktes gegenüber gesetzlichen und staatlichen Maßnahmen des Marktgeschehens. Wie bei Adam Smith so auch bei Amartya Sen kann sich ein freier Markt nur in einer Demokratie entwickeln, weil Demokratie die Eigeninitiativen des freien Menschen ermöglichen

a) Sen als moralischer Zuschauer auf Grund von Adam Smiths ökonomischen Anschauungen

Die heutigen Wirtschaftsmodelle schreiben die Grundgedanken von Adam Smith fort und sehen in ihnen eine Möglichkeit der Bewältigung wirtschaftlicher Konflikte zwischen reich - arm. Die Abhilfe geschieht durch das Wecken der Eigeninitiative des Menschen. Amartya Sen, gebürtiger Inder aus Dhaka, Bangladesch, überträgt Smiths ökonomischen Theorie auf die Menschen der Unterschicht, um ihnen aus ihrer Notsituation herauszuhelfen.

Auch Sen geht in seiner Ökonomie wie Smith von der Gesellschaftsform aus. Für ihn reagiert die "demokratische Staatsform" flexibel auf die weltweiten ökonomischen Herausforderungen und gibt der freien Marktwirtschaft, die sich als zukunftsweisende Marktwirtschaft zeigt die Chance der Verwirklichung. Wirtschaft wie auch Politik stellen den Begriff der "Gerechtigkeit" als moralische Kategorie und Qualität interpersoneller Relationen oder sozialer Verhältnisse in den gesellschaftlichen Mittelpunkt, mit dem die moralischen Rechte aller Personen thematisiert werden können. Bei der Legitimität des Wirtschaftens geht es um die Bedeutung des gerechten Zusammenlebens der Menschen. Die "Sozialverträglichkeit" ist im Sinne John Rawls als eine "wohlgeordnete Gesellschaft" zu verstehen, die von Freiheit bestimmt wird. (39)

Der globale ökonomische Strukturwandel erfordert sozialökomische Grundrechte, um einer "neuen Armut" vorbeugen zu können, die hervorgerufen wird durch die strukturelle Marktabhängigkeit auf der Seite der Bedarfsdeckung und auf der anderen Seite durch den "härter" gewordenen Arbeitsmarkt, der den Erwerb der benötigten Kaufkraft verhindert. Aus diesem Grund fordert Amartya Sen, dass allen Personen das Grundrecht auf die Entfaltung der grundlegenden humanen Fähigkeiten und auf die Verfügung über die unentbehrliche Ressourcen zur Führung eines selbstbestimmen Lebens zuzusprechen ist.(40) Dieses Recht, verbunden mit der Förderung der Grundfähigkeiten aller Menschen, ist als möglicher Weg zur Sicherung der Existenz und der Menschenwürde aller Menschen anzusehen. Auf diese Weise wird ihnen die chancengleiche Integration in den marktwirtschaftlichen Produktions- und Konsumptionsprozess ermöglicht und ebenso die partielle Emanzipation aus den Funktionszwängen des ökonomischen Systems. Zu ihrer Umsetzung bedarf es eines bedingten Rechts auf Arbeit, um die gesellschaftlich nützliche Leistung aufzubringen. Es ist kein allgemeines Bürgerrecht, sondern ein moralisches Recht, durch das sich die Gemeinschaft zur Solidarität verpflichtet fühlt. Ziel der Ökonomen ist es, die Konzeption einer wohlgeordneten Bürgergesellschaft weiterzuentwickeln, um die reale Freiheit und Lebenschance zu ermöglichen. Auf diese Weise wird ein sozialstaatliches Umverteilungssystem reduziert. Die Institutionalisierung staats- und wirtschaftsbürgerlichen Grundrechte führt zur Lösung der internationalen kompensatorischen Ressourcenumverteilung. Amartya Sen greift wie sein Vorbild Smith auf die Vorarbeiten der Philosophen wie auch auf Immanuel Kants weltbürgerliche, völkerrechtliche Grundordnung zurück, um seine ökonomischen Anschauungen darzulegen. Im Zeitalter globaler Märkte scheinen universale Wirtschaftsbürgerrechte als konstitutives Moment einer künftigen zivilisierten Wirtschaftsordnung notwendig zu sein. Die Verwirklichung dieser Zielvorstellung zeigt sich in der offenen Kommunikationsgemeinschaft mündiger Staats-, Wirtschafts- und Weltbürger, die bereit sind Mitverantwortung zu übernehmen. Als allgemein anerkannt gilt heute eine demokratische Staatform, die das Recht auf Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und der unantastbaren Persönlichkeitsrechte garantiert. Das empirische Verhalten der aktiven Staatsbürger kann nur gestärkt werden, wenn ihnen auch andere als rein eigennützige Motive; nämlich staatsbürgerliche Motive ethisch-politischer Selbstverpflichtung zugebilligt werden. (41)

Für Amartya Sen erscheint das marktwirtschaftliche Geschehen komplex. So lässt sich das Problem des Gewinnstrebens im Wirtschaftsgeschehen nicht so einfach lösen, weil es unter unternehmerischen wie auch unter privatorientierten Gesichtspunkten diskutiert werden kann, und somit eine moralische Dimension neben anderen darstellt. (42) Gewinnstreben ist kein ethisches Problem, sondern eine pragmatische Motivation. Aus diesem Grund verhandelt Sen in seinen wirtschaftlichen Darlegungen die Frage: "Wie können moralische Werte und Normen unter den Bedingungen der Marktwirtschaft zur Geltung gebracht werden. Wie weit gilt Adam Smith Satz: "alles hängt vom Interesse der Händler und Handwerker ab?" Wer legt die Spielregeln des wirtschaftlichen Zusammenlebens fest?" Sen kennt Adam Smiths Ansichten der Marktwirtschaft als eines Kommunikationsprozesses, der keiner übergeordneten Macht bedarf, sondern nur angesichts eines bestimmten Menschenbildes funktioniert, nach dem der einzelne ein natürliches Interesse am Wohlergehen der anderen hat. Im System von Adam Smith ist der Egoismus ausgeschlossen; weil nach ihm das Bestreben des Einzelnen auf Allgemeinheit ausgerichtet ist. Die Marktwirtschaft kann sich nur in der Demokratie ereignen, die ein freies Wechselspiel von Angebot und Nachfrage zulässt und von einer unsichtbaren Hand im Gleichgewicht gehalten wird. Der Gleichgewichtspreis ist von beiden Seiten als gerecht anzusehen.

Smith ökonomische Gedanken und die sie bestimmenden ethischen Gefühle wie auch seine ethischen Interessen werden heute durch den Begriff der Akzeptanz ergänzt. Die gesellschaftliche Akzeptanz verhindert den Verkauf der Produkte mit FCKW, weil sie umweltzerstörerisch wirken. Die Theorie des gerechten Preises ist kein Selbstläufer, sondern bedarf des Handelns und Eingreifens des Menschen, um Wirtschaftskrisen zu vermeiden. Nur das wirtschaftliche Menschenbild des "homo oeconomicus" kann den Wirtschaftsablauf regeln. Zu ihm gehören folgende Merkmale: rationales Verhalten angesichts der Nutzen-Kosten-Überlegungen; lückenlose Information und Anordnung des Marktes, dass er durch den handelnden Menschen voll beherrschbar und ausplanbar ist. Der Mensch als Gestalter der Wirtschaft benötigt bei seiner ökonomischen Entscheidung drei Bedingungen: a) das Spiel der verschiedenen Möglichkeiten; b) Willensentschluss und c) eine ethische Bewertung.

Dem gegenüber wird die Unternehmenskultur bestimmt durch die Wertvorstellung; Verhaltensnormen und Denk- und Handlungsweisen. Kultur wird in der Wirtschaft soziologisch verstanden, d.h., dass sich eine soziale Gruppe von einer anderen unterscheidet. Die ethische Orientierung einer Wirtschaftsordnung erwächst aus dem ihr zugrundeliegenden Menschenbild. Daraus entwickeln sich Tugendethik, Pflichtethik, Verantwortungsethik und Nutzenethik, die zu Lösungen allgemeiner gesellschaftlicher Probleme beitragen.

b) Freiheit und Demokratie in der Wirtschaftsordnung eines Adam Smith und Amartya Sen.

Amartya Sen nimmt seinen Ausgangspunkt bei der demokratischen und partizipatorischen Regierungsform des 20. Jahrhunderts, in der sich die Menschenrechte und politischen Freiheiten etabliert haben. Die noch gegenwärtigen Probleme der Unterdrückung und der Armut sind durch die Wechselbeziehung zwischen Formen der Freiheit und der individuellen Handlungsentscheidungen zu überwinden. Er begründet dies durch eine sozialpolitische Analyse, durch die die Freiheit als Leitfaden des Entwicklungsprozesses kohärent und plausibel erscheint. Die Handlungsinstanzen konzentrieren sich auf die Funktionen und Verflechtungen bestimmter instrumenteller Grundrechte, der ökonomischen Chancen, der politischen Freiheit, der sozialen Einrichtungen, der Gewährleistung von Transparenz und der sozialen Sicherheit. Die Institutionen wie Staat, der Markt, das Rechtssystem, die politischen Parteien, die Medien, die öffentlichen Interessengruppen und Diskussionsforen haben die wesentlichen Freiheiten von Individuen zu erweitern und zu garantieren. Die Individuen sind keineswegs passive Empfänger ausgeteilter Wohltaten, sondern bewirkende Subjekte aktiver Veränderungen. (43) Sen sieht unter der Leitidee der Freiheit das ökonomische Wechselspiel von Einzelnen und Gemeinschaft und so die ökonomischen Verbesserung des Entwicklungsprozesses. Die öffentliche Diskussion ist der Motor zur Veränderung und der Erweiterungsprozesse realer Freiheiten.

Für Sen lässt die Freiheit die Hauptursachen der Unfreiheit erkennen, die hervorgerufen werden durch Armut, Despotismus, fehlende wirtschaftliche Chancen, wie auch sozialer Notstand, Intoleranz, Vernachlässigung öffentlicher Einrichtungen und erstickende Kontrollen autoritärer Staaten. Angesichts dieser Erkenntnis arbeitet Sen fünf Arten instrumenteller Freiheit heraus: 1) politische Freiheiten; 2) ökonomische Einrichtungen; 3) soziale Chancen, 4) Tranzparenzgarantien und 5) soziale Sicherheiten. Diese Freiheitsnetzwerke sind mit einander zu verknüpfen, weil sie die individuellen Lebensmöglichkeiten erweitern. Voraussetzung dazu ist die demokratische Staatsform. In ihr geben die ökonomischen Einrichtungen dem Individuum die Chancen die ökonomischen Ressourcen zum Zweck des Konsums, der Produktion oder des Tausches einzubringen. Dazu gehört der Zugang zu den Geldmitteln, zu den sozialen Chancen, zur Bildung und zum Gesundheitswesen. Wichtig für das Wirtschaftsgeschehen ist die Durchsichtigkeit (=Transparenz) der Vorgänge, um so Vertrauen in dem wirtschaftlichen Prozess zu haben. Ganz deutlich betont Sen, dass Arbeitslosenunterstützung und Mindesteinkommen zur Verwirklichung des menschlichen Daseins beigetragen können. (44)

Sen nimmt Adam Smiths Wechselbeziehung zwischen "lebensnotwendigen Gütern" und Lebensbedingungen auf und betont, dass die Tausch- und Handelsfreiheit ein unabdingbarer Teil der fundamentalen Freiheit ist. (45) Wie Smiths sieht er gegen Märkte zu votieren und Verweigerung der Freiheit des Arbeitsmarkt als Weg in die Unfreiheit und feudale Abhängigkeit des Menschen. (46) Der freie Zugang zum Markt ist ein bedeutender Beitrag in der menschlichen Entwicklung der marktwirtschaftlich orientierten Gesellschaft.

Sen übernimmt Smiths ökonomische Theorien des Marktmechanismus, die beherrscht werden von Organisationen, Regierung, lokaler Verwaltung, politischen Parteien, bürgerlichen Einrichtungen, Bildungswesen und den Kommunikationsmitteln, um das Armutsproblem in Angriff zu nehmen. . In dieser Vernetzung sind die sozialen Werte und herrschenden Sitten anzuerkennen, die die soziale Interaktion steuern. Ein freier wirtschaftlicher Austausch kurbelt das persönliche wie auch das gesellschaftliche Wirtschaftswachstum an.

c ) Wirtschaftstheorien : Informationsbasis und Nutzen

Ähnlich wie bei Smith u.a. entstehen nach Sen Wirtschaftstheorien aus dem kausalen Bedürfnis, ein gutes Leben zu führen. Sie tendieren zunächst nicht auf den Wert der Freiheit, sondern auf den des Nutzens, Einkommens und Wohlstandes. Zum Marktmechanismus gehört sehr wohl die Freiheit der Individuen. Nach Adam Smith und Ricardo gibt die Ausübung der Freiheit dem Markt mehr Effizienz als ein Marktzentralismus. Dies führte zur Ablösung feudalistischer Arbeitsverhältnisse, deren erzwungene Arbeit durch freie Arbeitsverträge ersetzt wurden. Die größere Freiheit der Arbeiter ermöglichte eine fortschrittlichere Gesellschaft, die auch das Problem der Kinderarbeit abschaffen konnte.

Sen erkennt, dass das durch die Marktwirtschaft entstandene Bürgertum die Möglichkeit hatte bei der Wahl zwischen Tradition und Moderne zu einer partizipatorischen Lösung zu kommen. Die partizipatorische Freiheitsentscheidung betont die Legitimität und führt zu Konsequenzen der Veränderungen. Demgegenüber ist individuelle Freiheit im wesentlich eine soziale Schöpfung und führt zu sozialen Verbindungen und zur Verwirklichung von Gerechtigkeit. (47) Sen sieht im Gegensatz zu Smith die Wirtschaftsentwicklung als grimmigen Prozess an, der kein soziales Netz zum Schutz der Armen errichtet habe. Nur ein zuträglicher Wirtschaftsprozess weiß um das Funktionieren des sozialen Netzes und um die politischen Freiheiten. Solch einen ökonomischen Entwicklungsprozess will Sen fördern. (48) Er sieht die Freiheit im sozialen Kontext. Für ihn liegt die konstitutive Freiheit in der substantiellen Freiheit, die Hunger, Unterernährung beheben hilft, heilbare Krankheiten fördert und vorzeitigen Tod verhindert und am politischen Geschehen partizipieren lässt. Die instrumentelle Freiheit schließt Rechte der Verwirklichung der Entwicklung ein. (49) Nur ein Wirtschaftswachstum im privaten wie auch öffentlichen Bereich ermöglicht die Finanzierungen des sozialen Sicherungssystem und der öffentlichen Fördermaßnahmen, wie Schulbildung.(50)

An statistischen Beispielen wie Indiens (1991) und Chinas (1979) legt Sen dar, wie die Hinwendung zur international operierenden marktwirtschaftlichen Ökonomie deren Marktwirtschaft vorangetrieben hat. Im Vergleich mit den Entwicklungsnationen zeigt er, dass das Wirtschaftswachstum zur Hebung der Lebenserwartung in Südkorea und Taiwan positiv beitrug, nicht dagegen in Brasilien. Abhängig waren diese Entwicklungen von der Voraussetzung, ob das Wachstum auf einem breiten Fundament ruhte und ob kluge Sozialprogramme das Gesundheits- und Bildungswesen ausbauten. (51) Dies war der Fall in Sri Lanka, China, Costa Rica und Kerala/Indien. Immer wieder betont Sen, dass die politischen Freiheiten in Gestalt demokratischer Einrichtungen das Überleben der wirtschaftlichen Freiheit und auch der Freiheit schlechthin ermöglichen. (52) Gerade demokratische Gesellschaftsformen und Staatsformen unterstützen den Mensch als aktives Subjekt, sein eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen.

Angesichts der Freiheit und der Gerechtigkeit wird nach Sen der Utilitarismus nicht mehr als Lust, Zufriedenheit oder Glück verstanden, sondern als Wunscherfüllung und zwar als eine Form des Wahlverhaltens einer Person. (53) Bereits ein Zeitgenosse Adam Smith Jeremy Bentham betrachtete den Utilitarismus sowohl als Nutzen des Individuums wie auch als einen machtvollen Motor der wirtschaftlichen Expansion und des allgemeinen Wohlstandes. Trotzdem enthält der utilitaristische Ansatz Mängel im Hinblick auf die utilitaristische Gerechtigkeitsidee. Das utilitaristische Kalkül wirkt sich nachteilig auf die dauerhafte Benachteiligung derer aus, die in der Unterschicht der hierarchischen Gesellschaften verbleiben. Aus diesem Grund regt Sen an, die sozialen und wirtschaftlichen Faktoren elementarer Bildung und ausreichender Gesundheitsfürsorgen und gesicherter Arbeitsplätze zu schaffen. Für Veränderungen ist Lust im Sinne des Utilitarismus kein Motiv, sondern es bedarf der Informationsbasen, die den Menschen helfen, ein gutes Leben zu verwirklichen. (54)

Deshalb ergänzt Sen seine "Ökonomie für den Menschen" durch John Rawls Gerechtigkeitstheorie (55), die den Vorrang der Freiheit fordert, der für die Gesellschaft angemessen sei. (56) Nur im Gesellschaftsmodel der Demokratie lassen sich die Freiheit verschiedener Personen miteinander vernetzen, um so der individuellen und gesellschaftlichen Asymmetrie entgegenzuwirken. Das Wirtschaftsgeschehen hat sehr wohl mit Politik zu tun.

Bei der Gestaltung seiner Ökonomie ist Sen sehr kritisch und überprüft auch Robert Nozick Theorie des radikalen Liberalismus, der nicht die Folgerungen seiner Forderungen bedenkt. (57) Er ist aufgrund seiner Informationsbasis zu einseitig. Am Beispiel der Hungernöte im liberalen System zeigt Sen, dass nur durch konsequentialistische Überlegungen wie auch der Vernetzung individueller Freiheitsrechte wirtschaftliche Benachteiligungen der Individuen verhindern werden können. (58) Die Gerechtigkeitsvorstellung bedarf einer breiten Informationsbasis und darf nicht nach subjektivem Maß beurteilt werden, wie es in der klassischen utilitaristischen Ethik eines Jeremy Bentham geschah, der Nutzen als Wunschbefriedigung definierte.

Mit den praktischen Beispielen und der Einführung der Informationsbasen zeigt Sen gegenüber Smith auf, dass der moderne Begriff des "Nutzens" sich auf die numerische Darstellung der Entscheidung einer Person bezieht und nicht bloß auf deren Emotion. Er erkennt, dass auf der praktischen Ebene die Verschiedenheit der Menschen das größte Problem für jeden Ansatz ist, der das Realeinkommen als Maßstab des Wohlergehens der Menschen wählt. Denn die menschliche Verschiedenheit gehört zu den Problemen, die sich negativ auf die Nützlichkeit eines Vergleichs des Realeinkommens zum Zwecke der Beurteilung des jeweiligen Vorteils dieser Menschen auswirken.

Sen bestimmt Einkommen und Güter als materielle Grundlage des Wohlergehens. (59) Nach Sen sind fünf Quellen für das Bestimmen des Realeinkommens und des Wohlergehen eines Menschen zu berücksichtigen: 1) die persönlichen Eigenheiten des Menschen; 2) die unterschiedlichen Umweltbedingungen; 3) das unterschiedliche soziale Klima, wie auch die sozialen Beziehungen; 4) die unterschiedlichen Aussichten in einer Gesellschaften; 5) die Verteilung innerhalb der Familie. Das Realeinkommen gibt den Maßstab für Wohlfahrt und Lebensqualität an.

Sen trifft sich in seiner ökonomischen Ausführung mit John Rawls Darlegungen, dass der Mensch Grundgüter wie Rechte, Freiheiten und Chancen, Einkommen und Wohlstand wie auch das soziale Fundament der Selbstachtung zur Daseinsgestaltung benötige.(60) Trotzdem unterscheidet sich das menschliche Streben nach individuellen "Vorstellungen vom Guten" von Individuum zu Individuum. Seit 1990 werden durch das "United Nations Development Program" (UNDP) alljährlich Berichte zur Entwicklung der Menschheit veröffentlicht. (61)

d) lebenswichtig

Mit seinen Ansichten zur Ökonomie steht Amartya Sen in der Tradition eines Aristoteles, "Nikomachischen Ethik, 1. Buch, 7 und eines Adam Smith "Der Wohlstand der Nationen", Bd. 2, 5. Die Frage, was gilt in einer Gesellschaft als "lebenswichtig" wird nach der Analyse von Smith durch den Begriff "Bedürfnis" definiert. Bedürfnisse lassen sich durch die Güter abdecken. Sen betont die Grundrechte, die die freiheitlichen Möglichkeiten eines schätzenswerten Lebens erlauben. (62) Doch ihre Verwirklichungschancen fallen unterschiedlich aus, weil es für ihre Bewertung weder in der liberalen Theorie noch durch die Rawlsche Gerechtigkeitstheorie einen Königsweg gibt. Es bleibt nur der der Geometrie (= Statistik). Um ein schätzenswertes Leben aufzubauen, müssen vorweg die gesellschaftlichen Unfreiheiten abgebaut und die substantiellen Freiheiten erweitert werden.

Sen sieht in seiner Darlegung deutlich, die Armut als Mangel der Verwirklichungschancen an. (63) Er greift dabei auf die Gedanken in Adam Smiths Buch "The Wealth of Nations" 1776 zurück, der die soziale Armut als ein zentrales Problem erkannte, weil sie die soziale Ausgrenzung vom gesellschaftlichen Leben beinhaltet. Erst eingeleitete Wirtschaftsreformen beheben dieses Problem. Am Beispiel Indiens legt Sen dar, wo Wirtschaftsreformen der indischen Bevölkerung wirtschaftliche Chancen eröffneten. (64) Nach den wirtschaftlichen Reformen konnten sich in Japan, Südkorea, Taiwan, Hongkong und Singapur wie auch China u. a. südostasiatische Staaten die wirtschaftlichen Chancen dank eines günstigen sozialen Hintergrundes flächendeckend ausbreiten. Dank der Wirtschaftsreformen konnte in großen Teilen der Bevölkerung ein gutes Bildungs- und Gesundheitswesen, eine Landreform usw. ausgebaut werden. Die Entwicklung des Humankapitals erbrachte die Verstärkung der Produktivität und Erwerbsfähigkeit.

Nach Sen können durch die Wertewelt die Wirtschaftsreformen das Problem der Ungleichheit lösen. Er greift auf Adam Smiths wie auch auf John Rawls "unparteiischen Zuschauer" zurück, um den Begriff der Fairness in das Wirtschaftsgeschehen einzubringen. (65) Denn Ungleichheiten lassen sich schwer durch den Verweis auf ihre Vernünftigkeit verteidigen noch regulieren, sondern durch den Verweis auf Fairness, wie auch durch Verweis auf die Aggregations- und Distributionsüberlegungen im Fall von Krankheit und Arbeitslosigkeit. In Westeuropa wird Arbeitslosigkeit durch staatliche Unterstützungsgelder ausgeglichen. Durch den Begriff der Fairness eröffnet sich für Sen eine psychologische Sicht des Markgeschehens. Deutlich erkennt er, dass Arbeitslosigkeit nicht nur Einkommensverluste zur Folge hat, sondern auch psychische und körperliche Leiden bis hin zum Verlust des Selbstvertrauens. mit sich bringt. Er stützt sich auf die Untersuchungen der Studie der Organisation für Wirtschaftszusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die die Einkommensungleichheit in den einzelnen Ländern zusammengestellt hat. Die Arbeitslosenzahlen betrug in den Jahren 1965 bis 1973 in den USA 4,5 % in Italien: 5,8% in Frankreich 2,3%. in der BRD ca. 1%. 2000 betrug die Arbeitslosenzahl in Italien, Frankreich und Deutschland 10-12% während sie in den USA bei 4-5 % verbliebt. Das USA Sozialethos empört sich über die Arbeitslosenzahl der europäischen Staaten, weil sie eine wirtschaftliche Belastung des Wohlfahrtssystems sind. (66) Die jeweilige unterschiedliche Mentalität entscheidet über das politische Verhalten im Wirtschaftsgeschehen. Die Amerikaner benötigen Arbeit um sich selbst zu verwirklichen. Deshalb kämpfen sie gegen die Arbeitslosigkeit.

Die Staaten haben ihre Probleme zu sehen, so Europa seine hohe Arbeitslosigkeit; die USA seine fehlende Krankenversicherung; Indien seinen Analphabetismus; Ostasien sein Finanzproblem. Die Institutionen haben für die Menschen zu arbeiten und sie werden gemessen an der Entwicklung der Freiheit wie auch an der Verwirklichung des Sozialsystems. Das generelle Leistungsvermögen des Marktes hängt zutiefst von den politischen und sozialen Rahmenbedingungen ab. Notwendig sind daher eine elementare Schulbildung und eine medizinische Grundversorgung. und der Zugang zu wirtschaftlichen Aktivitäten. Die Gewährleistung sozialer Chancen ermöglicht es, die Massen am wirtschaftlichen Fortschritt teilnehmen zu lassen.

In seinen Untersuchungen vergleicht er das wirtschaftliche Verhalten und die soziale Einstellung der Menschen in Amerika und Europa zur Gesundheitsfürsorge und Sterblichkeit. Es zeigt sich, dass das Bekenntnis zur Gesundheitsfürsorge für die Amerikaner nicht so wichtig zu sein scheint wie in Europa; denn ca. 40 Millionen US-Bürger haben aufgrund des geringen Einkommens keine ausreichende Krankenversicherung.(67) In Europa gehört Krankenversicherung zu den Grundrechten der Bürger.

Aufgrund seiner wirtschaftlichen Untersuchungen sieht Sen in der Armut in Indien und Afrika eine fehlende Verwirklichungschance. Deutlich wird dies an der hohen Sterblichkeitsrate der Bevölkerung. Gutsituierte Menschen erfreuen sich in diesen Ländern einer hohen Lebenserwartung. Um der Armut Herr zu werden muss es die Entwicklung des freien Marktes im Allgemeinen und der freien Wahl des Arbeitsplatzes im Besonderen geben.

e) Markt

Ähnlich wie für Adam Smith kann für Amartya Sen der Wettbewerb des Marktes zur Ungleichheit führen. Deshalb fragt Sen, inwieweit lassen sich Nutzwerte in individuelle Freiheit überführen? Entscheidend scheint, welche nützlichen Wahlmöglichkeiten die Individuen treffen können. Das Effizienzergebnis des individuellen wirtschaftlichen Handelns sagt nichts über die Gerechtigkeit der Endergebnisse oder über gerechte Verteilung von Freiheit aus. Der Wert der Fairness ist in Hinblick auf den Marktwettbewerb zu sehen. Zwischen der Effizienz des Marktes wie auch der Fairness ist ein Ausgleich zu finden. Adam Smith konnte noch von einer Regulierung des Marktes durch eine "unsichtbare Hand" sprechen. Damit wandte sich Smith gegen das private Profitstreben, das den allgemeinen Interessen zu widerläuft. (68) Heute sind die Märkte abhängig vom Interesse der Gruppen, die sich gegenüber anderen abschotten können. (69).Wegen des ökonomischen Gewinns wird politischer Einfluss auf den Markt ausgeübt; denn die Zölle bringen dem Staat Gewinn ein. Bereits Adam Smith hat sich gegen die restriktive Nutzung der Märkte gewandt und plädierte für einen fairen Wettbewerb. (70) Er wusste um das Wechselspiel des Marktgeschehens wie auch um die eigenen und öffentlichen Interessen. (71) Sen dagegen möchte die Beantwortung dieser Diskussion nicht der "unsichtbaren Hand" überlassen, sondern fordert, dem Markt mehr Freiheit und Teilhabe an politischen Entscheidungen zu überlassen. (72) Trotzdem müssen Märkte geprüft werden, ob sie eine unerlässliche Voraussetzung für eine gute Wohlfahrtspolitik abgeben. Selbst Adam Smith hat die Notwendigkeit der restriktiven Maßnahmen des Marktes untersucht. Der Staat sollte nach ihm die oberste Grenze des Zinses festlegen. (73) Doch Jeremy Bentham war für den sich selbst regulierenden Markt. Die Ansicht hat sich durchgesetzt, dass der Staat sich bemüht seine Aufgaben im politischen und sozialen Bereich mit dem Mechanismus der Märkte in Einklang zu bringen.

In seiner Ökonomie setzt sich Sen für einen integrativen und facettenreichen Ansatz der Marktöffnung ein. Der Einsatz der Märkte ist mit der Entwicklung sozialer Chancen verbunden wie auch demokratischer Rechte, Sicherheitsgarantien, Möglichkeiten der Zusammenarbeit. "In diesem Buch (=Ökonomie für den Menschen) stützt sich die Identifikation verschiedener instrumenteller Freiheiten, z.B. ökonomischer Zugangsrechte, demokratische Freiheiten, sozialer Chancen, Gewähr von Transparenz sowie sozialer Sicherheiten, auf die Erkenntnis ihrer jeweiligen Funktionen wie auch ihrer wechselseitigen Ergänzung." (74) Die Beurteilung des Marktes und seiner Funktionen ist von Land zu Land verschieden. Der Marktmechanismus erscheint als die beste Lösung der ökonomischen Probleme zu sein. Zwar sind die Marktmechanismen nicht auf öffentliche Güter abgestellt. Doch die Anhebung des öffentlichen Gutes, so z. B. Bildung, kann den ökonomischen Fortschritt beschleunigen. (75) Aufgabe des Staates ist, für die grundlegende Verwirklichungschancen der Sozialpolitik wie Gesundheitswesen und elementare Bildungschancen zu sorgen. In seinen ökonomischen Darlegungen argumentiert Sen von einer Verwirklichungschance. Trotzdem fordert er, dass der Staat gegen die Armut die Initiative ergreifen muss, das Gesundheitswesen, das Schulwesen und die Arbeitslosen zu unterstützen hat. Die Aufstellung der Verwirklichungschancen erleichtert das Aufstellen der Sozialprogramme. (76)

Sen wie bereits Smith argumentieren vom handelnden Subjekt aus. Sen greift John Rawls Argument der Selbstachtung (= self-respect) als wichtiges Grundgut auf, auf dem sich eine Theorie der Gerechtigkeit als Fairness erstellen lässt. (77) Zur Selbstverwirklichung des Wirtschaftsprogramms benötigt der Mensch Informationen. (78) Die Begriffe der Gerechtigkeit wie auch Fairness haben private wie auch soziale Aspekte. Wichtig für das handelnde Subjekt bleibt, nicht über seine Verhältnisse zu leben. Dies gilt auch für den Staat, dass er seine Staatsverschuldungen und somit die Inflation begrenzt. Diese Einsicht hat die Europäische Währungsunion in den Maastrichter Verträgen für sich mit 3% festgelegt.

f) demokratische Staatsform

In der Verwirklichung seiner Ökonomie setzt Amartya Sen auf die Demokratie als Staatsform. Die Wiener Konferenz über erlaubte Menschenrechte 1993 sprach sich für die "ökonomischen Rechte" aus, um die materiellen Bedürfnisse zu benennen. Die Gewährung politischer Freiheit und Bürgerrechte erbringt den Armen in den Ländern der Dritten Welt wenig. Trotzdem hält Sen an der Wechselbeziehung zwischen ökonomischen Bedürfnissen und politischen Freiheiten fest, um die immer wieder gerungen werden muss. (79) Die Herausbildung eines Wertsystems ist nur möglich, wenn frei und offen miteinander zwischen arm und reich kommuniziert und debattiert werden kann. Die Tatkraft der Oppositionsparteien spielt sowohl in nichtdemokratischen wie demokratischen Gesellschaften ein entscheidenden Faktor und kann die Einführung der Sozialprogramme erzwingen. Aufgrund seiner Untersuchungen stellte Sen fest, dass es in keinem Land, in dem eine demokratisch gewählte Regierung herrschte, Hungersnöte gäbe. (80) Demokratie ermöglicht den Bürgern Verwirklichungschancen. Politische Rechte stimulieren gesellschaftliche Reaktionen.

Am Beispiel Indiens dokumentiert er die Bedeutung der Demokratie für die Ökonomie. Sie schenkte Indien seit 1947 eine gewisse Stabilität und Sicherheit. Die Bedeutsamkeit der Demokratie verdankt sich ihrer intrinsischen Bedeutung, ihrer instrumentellen Leistungen und ihrer konstruktiven Rolle bei der Schaffung von Normen und Werten. Durch öffentliche Diskussionen und Debatten ist eine demokratische Partizipation der Gruppen möglich. Auf diese Weise konnte die demokratische Regierungsform in Indien nach Sens Untersuchungen ein wirtschaftliches Desaster angesichts der Hungersnöte durch gerechte Nahrungsverteilung verhindern. (81) Weiter argumentiert Sen, dass in den reichen Ländern ein solcher Schutz auch durch Sozialhilfe und Arbeitslosenversicherung gewährleistet wird. Dagegen in den armen Ländern wie Indien konnte die Regierung die Hungersnot in Maharashtra 1973 durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für fünf Millionen Menschen auffangen.

Am Beispiel Irlands zeigte Sen, wie die Hungersnöte durch die Entfremdung zwischen Regierung und Regierten 1845 entstanden sind. Die Hungernöte waren nicht durch Nahrungsmittelknappheit bedingt, sondern durch die Geldnot der Iren, die sich nicht Nahrung kaufen konnten. (82) Die fehlende politische Tätigkeit der Briten lag in den mangelnden politischen Anreizen und in der kulturellen Entfremdung zu den Iren.

Aufgrund dieses Beispiel fordert Sen, dass politische Anreize, wie auch Preisanreize, Förderung technischen Fortschrittes, Ausbildung und Produktivität geschaffen werden müssen, um Hungersnöte zu überwinden, So haben die Hungersnöte in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara nichts mit dem geringen Wachstum der Nahrungsproduktion zu tun, sondern mit dem fehlenden allgemeinen Wirtschaftswachstum. Daher müssen für diese Gebiete Einkommens- und Wachstumsquellen außerhalb der Nahrungsmittelproduktion gefunden werden. In Indien und Botswana und Simbabwe ist die Prävention des Hungers durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen mit Erfolg praktiziert worden (83) Nach Sen kann nur eine demokratische Politik so handeln, dass die Erwerbsmöglichkeiten und Arbeitsstellen, wie auch private Märkte für Arbeit und Nahrung und durch Vertrauen auf die normalen Handels- und Geschäftsstrukturen entstehen. (84) Diktaturen ist dies nicht gelungen; denn deren Oberschicht hat genug an Nahrung. In der Demokratie sorgen die Opposition und die Presse auf Abhilfe der Hungersnöte. China unter kommunistischer Diktatur konnte die Hungersnöte der Jahre 1958-1961 nicht vermeiden. (85) Mao räumte ein, dass die Regierung die Vorgänge an der Basis falsch eingeschätzt habe. Seit 1979 hat China sein Wirtschaftsprogramm geändert und ökonomische Anreize geschaffen und damit den Weg zur Demokratie geebnet. Die präventive Kraft der Demokratie setzt soziale Sicherheiten auf die Liste der instrumentellen Freiheit (- Debatten) wie auch Transparenz innerhalb der Geschäftswelt. Nur aufgrund der demokratischen Gedankenwelt kann der Internationale Währungsfonds (IWF) eine Neuordnung des Finanzwesens fordern. Eine Verringerung des Bruttosozialproduktes um 5 oder 10 Prozent kann katastrophale Folgen haben.

Bei allen theoretischen Überlegungen müssen die Menschen als handelnde Personen eine Grundausstattung des Eigentums, an produktiven Ressourcen und an Gütern und an Arbeitskraft haben, um am Marktgeschehen teilnehmen zu können. Sen arbeitet mit Fakten, die seine Wirtschaftsdarlegungen, Wertvorstellungen wie seine politischen Ansichten unterstreichen. Nur in einem demokratischen Staat wie Indien kann er seine ökonomischen Ansichten von der Eigeninitiative in einer sozialen Unterschicht umsetzen und sie zur Mittelschicht als staatstragende Macht machen. Er weiß um die Bedeutung der Frau im marktwirtschaftlichen Geschehen.

f) Die Rolle der Frau

Für Sen scheint die Rolle der Frau in dem Wirtschaftsgeschehen wichtig zu sein. Nach ihm sollen die Frauen durch das Selbstbestimmungsrecht aktiv Handelnde werden. Ihre Aktivität führt zu ihrem Wohlergehen. Denn eine begrenzte weibliche Selbstbestimmung beeinträchtigt das Leben aller Menschen gleichermaßen. Daher muss den Frauen Erwerbsmöglichkeiten zugestanden werden und der soziale Status der Frauen innerhalb der Familien und in der Gesellschaft verbessert werden. Im Großen und Ganzen haben Männer und Frauen besser zu kooperieren. Dazu gehören innerfamiliäre Absprachen. Dabei darf die Rolle der Kinder nicht übersehen werden. Die Rechte der Frauen am Arbeitsmarkt schließt die häuslichen Pflichten der Männer ein.

Dass Frauen mit Erfolg am Wirtschaftsleben teilnehmen können, zeigen die Erfolge der Grameen Bank in Bangladesch. Unter Muhammed Yunus hat sich eine Kleinkreditbewegung entwickelt, die Benachteiligung der Frauen auf dem ländlichen Kreditmarkt beseitigen will. (86) Die Frauen konnten durch ihr Marktgeschehen, die ihnen bewilligten Kredite, zurückzahlen. Die Organisation BRAC in Bangladesch unter Fazle Hasan Abed unterstützt die Integration von Frauen. in die ökonomischen und sozialen Bewegungen des Landes. (87)

Daher ist die Selbstbestimmung der Frauen zu einem zentralen Anliegen der Entwicklungsprozesse vieler Länder der Welt geworden. Die neuen mentalen Einstellungen zur Familie, der Gesellschaft und der Erwerbstätigkeit der Frau führen zu einer ökonomischen und sozialen Veränderung und Verbesserung der Gesundheit der Kinder und der Normalisierung der Geburtenrate. (88) Sen erweitert seine ökonomische Theorie in eine globale Dimension, wenn er auf das Wechselverhältnis von Bevölkerung, Ernährung und Freiheit zu sprechen kommt. Der Schotte Malthus veröffentlichte 1798 sein "Essay on Population". Inzwischen ist die Bevölkerung gewachsen und das prophezeite Problem der Welternährungskrise zeigt sich nicht. Es bleibt bei dem Wirtschaftsspiel, dass die Märkte und Preise die Nahrungsmittelproduktion bestimmen, während die Politik die Zugangsberechtigung zu den Nahrungsmittelpreisen regelt.

g) Marktgeschehen und Rechte

Trotzdem gilt es, die Frage nach dem politischen Recht in der Wirtschaft zu stellen. Für Jeremy Bentham hat Recht (=Gesetz) einen rein instrumentellen Charakter und seine instrumentelle Funktion soll bestimmte Zwecke verfolgen. Die libertäre Theorie schließt eine Überlegung über das Recht auf die Folgen und Nutzen aus. Aber auch Minderheiten müssen ihr Recht bekommen, um Revolutionen vorzubeugen. Marquis de Condorcet widersprach Matthus Ansicht vom Bevölkerungswachstum und betonte einen Geburtenrückgang. (89) Das politische kommunistische chinesische Modell von 1979 propagierte deshalb die "Ein-Kind-Familie"-Politik und schränkte so die persönliche Freiheit ein. Daher gilt es Familienplanung ausgewogen zu konzipieren. Denn für Sen gehören ethische Prinzipien zur Ökonomie. Deshalb fordert er, dass die Menschrechte nicht mit Moralität verwechselt werden dürfen. (90) Die moralische Autorität der Menschenrechte hängt von der Struktur einer akzeptablen Ethik ab. Gleichzeitig nimmt er Immanuel Kants Gedanken auf, dass Rechte auch Pflichten beinhalten. (Immanuel Kant: Kritik der praktischen Vernunft.) Sen versucht die westlichen Menschrechte, wie Freiheit und Toleranz mit dem asiatischen Wertesystem zu vergleichen. Der Buddhismus weiß um die Freiheit im Sinne von Befreiung (= mosha). Doch Sen gibt der Lehre des Konfuzianismus den Vorzug, die um Zucht und Ordnung für ein politisches Gemeinwesen weiß. (91) Sie sprechen das ehrenhafte Verhalten, die gute Lebensführung und die Weisen des guten Regierens an und prägen so die Toleranz. Selbst in den wirtschaftlichen Anschauungen des Konfuzius stehen die Wohlfahrt und die Ordnung des Reiches im Mittelpunkt. Eine Gleichheit der Menschen im Sinne der abendländischen Aufklärung ist der asiatischen Welt fremd. Die asiatischen Reiche waren Königreiche und kannten die demokratische Staatsform nicht. Sen kommt durch den Kulturvergleiche zum Ergebnis, dass Wertesysteme nicht nur auf einem Kulturraum beschränkt sind. Dies ist gut zu wissen angesichts der heutigen Globalisierung von Handel und Wirtschaft.

Die ökonomische Globalisierung zwingt zu einem Mindestmaß an Schulbildung und Berufsausbildung, wobei die nationale Kultur wie auch die internationale gepflegt werden soll. Die Menschen haben an einem sozialen Entscheidungsprozess mitzuwirken, um ihre Verwirklichungschancen zu realisieren.

Adam Smith Gedanken von demokratischer Partizipation und sozialer wie auch ökonomischer Entwicklung bleiben wegweisend. Er verweist auch auf die wirtschaftlichen Konsequenzen hin. Sen ergänzt Smiths Ansichten durch soziale Gerechtigkeit und eine reichhaltige Informationspolitik. Dies ermöglicht den sozialen Wandel und die Bekämpfung von Hungersnöten und Seuchen. Sen setzt bei dem Marktgeschehen nicht auf die "unsichtbare Hand", sondern auf Vernunft und Geometrie (=Statistik).

Adam Smith geißelt in seinen Büchern "Theorie der ethischen Gefühle", 1759 und "Der Wohlstand der Nationen" 1766 die Selbstsucht der Reichen. Er weiß aber, dass die Selbstsüchtigen und Habgierigen "von einer unsichtbaren Hand" geleitet werden und so "das Interesse der Gesellschaft" fördern", und das tun sie "ohne es zu beabsichtigen, ja ohne es zu wissen". Carl Menger und Friedrich Hayek haben darin die "Theorie der unbeabsichtigten Konsequenz" gesehen. (92) Denn ökonomische und soziale Überlegungen ziehen Konsequenzen in Betracht. Sen verdeutlicht dies am Beispiel der Wirtschaftsreformen Chinas 1979. Die chinesischen Architekten der sozialen Reform versuchten durch die verordnete Familienplanung die Geburtenrate zu senken. Das Fundament für die Wirtschaftsreformen wurde durch Bodenreform, höhere Bildung und bessere Gesundheitsfürsorge geregelt. Damit hatte Mao die sozialen Grundlagen für Marktwirtschaft und kapitalistische Expansion geschaffen, an deren Verwirklichung er im Traum nicht dachte.

Nach Sen wird auch ein selbstsüchtige Mensch von Werten bestimmt wird, die soziale Komponenten widerspiegeln. (93) Die kommunikative Vernunft wie auch die biologische Evolution erleichtern das Auftreten sozialer Normen. Die Gerechtigkeitsvorstellungen lassen sich dann mit der individuellen Freiheit verbinden. Nach Sen existiert Adam Smiths Vorstellung vom "unparteiischen Zuschauer" heute als menschlicher Verstand.

Auch der Kapitalismus benötigt funktionierende Rechtssysteme und eine Verhaltensmoral, die die Einhaltung der ausgehandelten Verträge garantiert. (94) Der vielgescholtene Manchesterliberalismus schloss den Begriff von Humanität ein, der ein spontanes Mitgefühl für den Anderen erkannte, wie es Adam Smith ausführte. Das Verfolgen eigener Interessen kann zu moralischem Fortschritt beitragen. Doch die Wirtschaft, die auf Tauschhandel beruht, kann ohne gegenseitiges Vertrauen und implizierter Normen nicht funktionieren. Gerade angesichts der Globalisierung wird die Bedeutung von Werten und Normen weltweit einsichtig. Erkannt wurde, dass die ökonomischen Schwierigkeiten der Sowjetunion und der Länder Osteuropas aufgrund fehlender institutioneller Strukturen und Verhaltensformen hervorgerufen wurden, die ein sich immer wieder verändernder Kapitalismus beheben kann. (95). Sen fordert dem Beispiel des Kapitalismus zu folgen, wenn er schreibt: "Der Siegeszug des Kapitalismus, seine Fähigkeit, das allgemeine Niveau des wirtschaftlichen Wohlstandes in der Welt zu erhöhen, war auf eine Moral und auf Verhaltensregeln angewiesen, welche die Transaktionen auf dem Markt wirtschaftlich und erfolgreich gestalteten." (96) Die Anforderungen an den Kapitalismus bestehen darin, die Probleme der Welt durch Institutionen jenseits der Marktwirtschaft in Griff zu bekommen. Nur mit Werten und Moral sind Korruption wie auch kriminelle Organisationen in der Wirtschaft zu besiegen. Bereits Adam Smith hat bei der Vorstellung des Strebens nach dem persönlichen Vorteils "Mitgefühle" und "Pflichtgefühle" berücksichtigt. Im Handeln aus dem Pflichtgefühl liegt keine Selbstaufgabe des rationalen Willens einer Person. (97) Smiths Begriff des rationalen Individuums meint diesen bei genauer Betrachtung menschlichen Handeln in der Gemeinschaft mit anderen. Von daher ist Smith "Eigennutz" im weiteren Sinne zu verstehen. Sen schätzt John Rawls Wertevorstellung und sein Gerechtigkeitssinn als moralische Fähigkeit des demokratischen Denkens.

Aufgrund des Wechselverhältnisses von Philosophie und Ökonomie begrüßt Amartya Sen das praktische Projekt des Friedensnobelpreisträgers von 2006 Muhammed Yunus, der auch als Wirtschaftswissenschaftler der Ansicht ist, dass Sozialleistungen nur auf Kredit vergeben werden sollten, um Menschen zum Arbeiten zu befähigen. Das einseitige Sozialhilfesystem in den westlichen Wohlstandsgesellschaften würde nur die Arbeitsfähigkeit des Menschen verderben. Die ursprüngliche menschliche Ausrichtung (Sen spricht von Instinkt) sei, für etwas zu kämpfen und etwas zu schaffen. Nach Sens Meinung weckt Yunus mit seiner Methode der Kleinkreditvergabe die Aktivität und Selbstverwirklichungsvorstellung der Menschen und ihrer sozialen Engagements. Yunus neue Wirtschaftsmethode bewährt sich in den Ländern der Dritten Welt und in Europa bei den Ökobauern und Alternativen. Es ist eine Methode, Armut durch Eigeninitiative zu bekämpfen. Die Methode erinnert an die positive Aktivität, die der Lutherische Weltbund bei Frauen in Lateinamerika (Porto Alegre) initiiert hat.

Damit werden Adam Smiths Anschauungen vom "moralisch Richtigen", die auf gegenseitigem Vertrauen im Wirtschaftsgeschehen basieren, als wegweisend aufgegriffen. (98) Yunus fördert mit seiner Grameen Bank in Bangladesch die Selbstverantwortung des Menschen für sein Leben. Dabei gilt es, die Wechselbeziehung zwischen Freiheit und Verantwortung im individuellen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Leben zu beachten. Dies ermöglicht dem Menschen, sich den Herausforderungen und Chancen in einer globalisierten Welt zu stellen. Die Förderung des Humankapitals kann dazu beitragen.

Amartya Sen hat die Wirtschaftsideen Adam Smiths für die moderne individuelle und globale Wirtschaft weitergeschrieben.

Anmerkungen:

1) Müller-Armack, A.: Genealogie der Sozialen Marktwirtschaft. Frühschriften und weiterführende Konzepte. Bern/Stuttgart 1974, S. 134
2) Ulrich, Peter: Integrative Wirtschaftsethik. Grundlagen einer lebensdienlichen Ökonomie. Bern Stuttgart Wien, 1997. S. 12
3) Smith, Adam: The Theory of Moral Sentiments. 1759. dt. Hamburg 1985, S. 2
4) a.a.O., S. 167
5) a.a.O., S. 203
6) a.a.O., S. 3ff.
7) a.a.O., S. 277 und 401 ff.
8) a.a.O., S. 175
9) a.a.O., S. 397
10) Weber, Max. Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus (1904/05) 1988, S. 172
11) Smith, Adam: An Inquiry into the Nature and Cause of the Wealth of Nation, 1776 dt. Wohlstand der Nation 1978. S. 582
12) Hayek, F.A. von : Freiburger Studien, Tübingen 1969. S. 97ff.
13) Marx, Kal: Das Kapital der politischen Ökonomie, I. Bd. 1867, S. 286
14) Habermas, Jürgen: Theorie des kommunikativen Handels, Frankfurt/M. 2 Bd. 1981 S. 229ff.
15) Smith, Adam: a.a.O., S. 17
16) a.a.O., S. 371
17) Smith, Adam: The Theory of Moral Sentiments a.a.O., S. 129
18) a.a.O., S. 130
19) a.a.O., S. 159
20) a.a.O., S. 129
21) a.a.O., S. 316
22) Ulrich P. / Thielemann, U.: Ethik und Erfolg. Unternehmensethische Denkmuster von Führungskräften- eine empirische Studie. Bern/Stuttgart 1992 S. 34 ff.
23) Smith, Adam: The Theory of Moral Sentiments a.a.O., S. 255
24) Hayek, F.A. von: Neue Freiburger Studien hrsg. v. W. Kerber, Tübingen 1996.S. 3-15)
25) Smith, Adam: An Inquiry into the Nature and Cause a.a.O., S. 371
26) De Pury, D.; Hauser, H.; Schmid, B. (Hrsg.): Mut zum Ausdruck - Eine wirtschaftliche Agenda für die Schweiz, Zürich 1995
27) Illich, Ivan: Fortschrittsmythen , Hamburg. 1978, S. 70
28) Fromm, Erich: Psychoanalyse und Ethik, Frankfurt/M. 1978, S. 127ff
29) David de Pury, Hauser, Schmid: a.a.O., S. 10
30) Würgler, H. (Hrsg.): Arbeitszeit und Arbeitslosigkeit. Zur Diskussion der Beschäftigungspolitik in der Schweiz. Zürich 1994, S. 1935f.
31) Van den Brink, B./ van Reijen, W. (Hrsg.): Bürgerrechtsgesellschaft, Recht und Demokratie, Frankfurt/M. 1995
32) Fromm, Erich: Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft, Stuttgart 1978. S. 89
33) Habermas, Jürgen: Erläuterungen zur Diskursethik, Frankfurt/M. 1991, S. 103
34) Boarman, P.M. (Hrsg.): Der Christ und die soziale Marktwirtschaft. Stuttgart/Köln 1955, S. 53ff.
35) Smith, Adam: An Inquiry into the Nature and Cause a.a.O., S. 213
36) Smith, Adam: The Theory of Moral Sentiments a.a.O., S. 329
37) a.a.O., S. 4
38) a.a.O., S. 316
39) Rawls, John: Die Idee des politischen Liberalismus, Frankfurt/M. 1992, S. 89 und 93
40) Sen, Amartya: Commodities and Capabilities, Amsterdam 1985
41) Sen, Amartya: Philosophy and Public Affairs 6, 1977, S. 328ff.
42) Sen, Amartya: On Ethics and Economics, Oxford/New York 1987, S. 16ff.
43) Sen, Amartya: Ökonomie für den Menschen. Wege zu Gerechtigkeit und Solidarität in der Marktwirtschaft. München 1999, dtv 2002, S. 11
44) a.a.O., S. 21
45) Smith, Adam: An Inquiry into the Nature and Cause a.a.O., dt. München 1978: 5. Buch, Kapitel 2: Steuern auf Verbrauchsgütern.
46) Sen, Amartya: a.a.O., S. 18
47) a.a.O., S. 47
48) a.a.O., S. 50
49) a.a.O., S. 55
50) a.a.O., S. 55
51) a.a.O., S. 61
52) Dreze, Jean; Sen, Amartya: Hunger and Public Action, Oxford 1989
53) Harsanyi, John, C.: Essay in Ethics, Social Behaviours, and Scientific Explanation, Dordrecht, 1977
54) Sen Amartya: a.a. O., S. 81
55) Rawls, John: A Theory of Justice, Cambridge 1971
56) a.a.O., S. 83
57) Nozick, Robert: Anarchy, Stae and Utopia, 1974
58) Sen, Amartya: Power and Famines; New Oxford 1981
59) Sen, Amartya: Ökonomie für den Menschen a.a.O., S. 89
60) Rawls, John: A Theory of Justice, Cambridge, 1971, S. 60-65
61) Human Development Report 1990, New York 1990; Kinderhilfsorganisation, UNICEF; Review of European Economic History I (1997); World Development Report 1993, New York 1993
62) Nussbaum, Martha ; Sen, Amartya Sen: The Quality of Life. 1993 -- Kesselring, Thomas: Ethik der Entwicklungspolitik. Gerechtigkeit im Zeitalter der Globalisierung. München 2003, S. 100
63) Sen, Amartya: Ökonomie für den Menschen a.a.O., S. 110
64) Dreze, Jean; Sen, Amartya: India: Economic Development and Social Opportunity, Dehli, 1995
65) Rawls, John: A Theory of Justice, Cambridge, 1971
66) Sen, Amartya: Ökonomie für en Menschen a.a.O., S. , 120
67) a.a.O., S. 123
68) Smith, Adam: An Inquiry into the Nature and Cause, a.a.O., S. 281
69) Sen, Amarty: a.a.O., S. 150
70) Smith, Adam: An Inquiry into the Nature and Cause a.a.O,, dt. München, 1978, S. 118
71) a.a.O,, S. 213
72) Sen, Amartya: a.a.O., S. 153
73) Smith, Adam: a.a.O., S. 294
74) Sen, Amartya: a.a.O., S. 157
75) Smith. Adam: a.a.O., S. 665
76) Sen, Amartya: a.a.O., S. 165
77) Rawls, John: A Theory of Justice a.a.O., S. 479-487
78) Sen, Amartya: a.a.O., S. 169f.
79) a.a.O., S. 183
80) a.a.O., S. 187 und Sen, Amartya: Resources, Values and Development, Cambridge, 1984
81) Sen, Amartya: Poverty and Famines, 1981
82) Corac, 0 Grada: The Great Irish Famine. Basingstoke.1989
83) Sen, Amartya: Ökonomie für den Menschen a.a.O., S. 216
84) a.a.O., S. 217
85) Carl Riskin, Chinas Political Economy, Oxford 1987)
86) Muhammed Yunus/Alan John: Banker to the Poor; Micro-Lending and the Battle Against World Poverty, London 1998)
87) Sen, Amartya: a.a.O., S. 245
88) Human Development Report 1995der UNDP, New York 1995
89) Sen, Amartya: a.a.O., S. 261
90) a.a.O., S. 273
91) a.a.O., S. 281
92) Hayek, Friedrich: Studies in Philosophy, Politics and Economics, 1967, S. 96-105
93) Sen, Amartya: a.a.O., S. 311
94) a.a.O., S. 312
95) a.a.O., S. 315
96) a.a.O., S. 317
97)Smith, Adam: The Theory of Moral Sentiments, dt.: Theorie der Gefühle, Hamburg 1977, S. 327
98) a.a.O., S. 243

Pfarrer Dr. Horst Jesse, Berlstraße 6a , 81375 München