Pfarrer Dr. Horst Jesse hielt vor der Goethe-Gesellschaft Augsburg am Mittwoch, 20. Februar 2008 in Augsburg den nachfolgend wiedergegebenen Vortrag.

Goethe als Kriminalist. Goethe und Cagliostro. Aufklärung und Okkultismus

Texte: Johann Wolfgang von Goethe - Lustspiel "Der Groß-Kophta" von 1792 : Italienische Reise

I) Goethe als Jurist und Staasbeamter

Johann Wolfgang von Goethe war zeitlebens Staatsbeamter, auch wenn er als Dichter, Maler und Naturwissenschaftler berühmt wurde. Er studierte Jura, 1771 reichte er seine Dissertation an der Universität Straßburg ein. Seine Disputationsthese war: Trennung von Kirche und Staat. Er wurde am 6. August 1771 zum Lizentiaten der Rechte promoviert, wie er im 11. Buch seiner Autobiographie "Dichtung und Wahrheit" schreibt. Ab September ist er Anwalt in Frankfurt/M. Seine Eindrücke über das Justizwesen fasst er im Gedicht: "Willkommen und Abschied" zusammen. Aufgrund seines Aktenstudiums unterrichtet er sich über die Hinrichtung der Kindsmörderin Susanne Margarte Brand am 14. 1. 1772 in Frankfurt/M. Er verarbeitet dies literarisch im Gretchenmotiv Faust I. 1772 ist er Rechtspraktikant am Reichkammergericht Wetzlar.

29.9. 1774 wird er durch von Knebel in Frankfurt/M. den Prinzen Carl August und Constantin von Sachsen-Weimar-Eisenach vorgestellt. Am 30.10. 1775 reist er nach Weimar. 1776 zahlt ihm der Herzog ein jährliches Gehalt von 12000 Taler. Er wohnt im Gartenhaus. Am 26. 4. 1776 erhält er das Bürgerrecht in Weimar.

Er ist Geheimer Rat des Herzogs. Er steht der Kriegskommisssion vor und rüstet das herzogliche Heer um die Hälfte von 532 auf 248 sozial verträglich ab. Ihm unterstetht der Straßenbau: Erfurt-Gotha. In seinem Amtsbereich fallen: ökonomische, kameralistische und fiskale Aufgaben. 1782 entlässt er Minister Kalb aus der Finanzverwaltung und versucht die Staatsschulden abzuarbeiten. Er gibt eine Schrift heraus: "Bestrafung säumiger Steuerzahler" und Steuerrevion im Herzogtum 1785. 1783 hat Goethe der Hinrichtung der Kindsmöderin Anna Katharina Höhn in Weimar zugestimmt. Als Jurist und Staatsmann bleibt er der Staatsraison verpflichtet. Als Dichter denkt er anders. Auch während seiner Italienreise beschäftigt sich Goethe neben anderen Dingen auch mit dem Rechtswesen. In Neapel kommt er März 1782 mit dem Rechtswissenschaftler Gaetano Filangieri zusammen, der mit seiner "wissenschaftlichn Gesetzesgebung" eine Strafrechtsreform einleitet, so dass bereits 1787 in der Toskana die Todesstrafe abgeschafft wird. In Weimar wurde 15.6. 1932 die letzte Kindsmöderin hingerichtet.

Goethes Hauptinteresse als Staatsbeamter in Weimar galten dem Theater und seit Mai 1776 dem Bergwerk in Ilmenau, in dem seit 5. September 1779 gefördert wurde. Christian Gottlieb Voigt ist ihm dabei ein wichtiger Mitarbeiter. 1781 veröffentlicht Goethe seine Nachtrichten vom Bergwerk. 1796 wurde es wegen zu geringer Förderung geschlossen. Die kurzen Ausführungen über Goethe als Juristen, Staatsbeamten und Bergwerksleiter sind notwendig, um ihn als Realisten zu zeigen, der auch gegen die alltägliche Korruption ankämpfen musste. Die Steuerwillkür und Steuerschuld wurde im Amt Ilmenau erst 1796 abgeschloßen. Doch während seiner Verantwortung für das Bergwerk Ilmenau leitet er die 1784 die Steuerrevion in Ilmenau und überführte als verdeckter Ermittler den Steuereinnehmer Gruner als Steuerhinterzieher. (1a) Goethe bemüht sich Ordnung in das öffentliche und wirtschaftliche Leben des Herzogtums zu bringen. Seit 1785 ist Goethe nicht mehr ständiger Teilnehmer an der beratenen Versammlung des Geheimen Konziliums des Herzogtums.

II) Zeitströmungen des ausgehenden Ancien Regime.

Gerne würden wir uns in die Zeit Johann Wolfgang von Goethes versetzen, so wie es der Student Wagner zu Faust sagt:

"Sich in den Geist der Zeit zu versetzen;
Zu schauen, wie vor uns ein weiser Mann gedacht,
Und wie wir´s dann zuletzt so herrlich weit gebracht" (Faust I, V. 570ff)

Dieser Wunsch ist berechtigt, um Goethe und seine Zeit besser verstehen zu können. ir sind als Nachgeborene auf schriftliche Zeugnisse angewiesen, um aus ihnen die Zeit erstehen zu lassen. Wir können uns fragen: "Wie hat Goethe vor 1789 also vor der Französischen Revolution die sozialen und politischen Widersprüche nicht nur im französischen Ancien Regime, sondern vor allem im Herzogtum Sachsen-Weimar und in den anderen Staaten des Deutschen Reiches gesehen?" Er selbst verstand sich als liberaler Konservativer und versucht in seiner politischen Praxis und in seinem dichterischen Schaffen für gesellschaftliche, politische, technische und pädagogische Reformen zu sorgen. Er verurteilte Revolutionen und trat für Reformen und Veränderungen ein.

Geistesgeschichtliche lebte Goethe in der Zeit der Aufklärung, der Naturwissenschaften und der politischen Veränderungen. Gesellschaftlich bestand der Gegensatz zwischen Arm und Reich. Der Adel unterhielt sich mit Kultur, Theater, Bällen, Jagd, Ausfahrten und Literatur. Die adeligen Damen zeigten ihr luxuriöses Gebaren in der Mode, Lebensstil, Galanterie und waren anspruchsvoll. Das Bürgertum engagierte sich in der Wirtschaft, Handel und Technik und traf sich in Lesezirkeln und Theater. Die Armen mussten arbeiten und konnten das nicht erwirtschaften, was der Adel verprasste. Goethe hatte dies sehr wohl literarisch vermerkt und angeprangert. Die Zeit der Aufklärung sieht sich als Zeitalter fern des Aberglaubens und des Okkultismus. Immanuel Kant (1720- 1804) hat in seiner Schrift von 1784 "Was ist Aufklärung?" gefordert, dass der Mensch sich seines eigen Verstandes bemühen möge. Er wollte mit dieser Programmschrift den Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit befreien. Kant hat sich entschieden mit seiner rationalen Philosophie gegen Swedenborgs metaphysischen Spekulationen eines Geistesseher und Schwärmereien ausgesprochen. Auch in Glaubensdingen sprach er von der Vernünftigkeit der Religion.

Doch sehr rational war die Aufklärung nicht. Sie war nicht das Enlightment (=Licht, Helligkeit usw.) von dem die englischen Aufklärer sprachen. Sie hatte auch ihren Schatten. So war der berümte Naturwissenschaftler Issak Newton, der das Experiment betonte, ein Okkultist. Seine okkultisischen Schriften liegen noch weiter nur teilweise veröffentlicht in den englischen Archiven. Eigenartig, dass in dieser aufgeklärten Zeit viele Wissenschaftlehrer und Philosophen einerseits bereits rational experimentierten und die Logik des Verstandes und der Vernunft aufzeigten, andererseits okkulte und kabbalistische Bücher lasen und deren Spekulationen nachsannen. Sie wollen erforschen und erkennen, was die Welt im Inneren zusammenhält wie es Goethe in Faust I formuliert. Selbst Goethe studierte die okkulten und kabbalistischen Bücher der Bibliothek seines Vaters. In Dichtung und Wahrheit berichtet er darüber und im Faust I zeigt er es. Nach der Veröffentlichung des Faust-Fragmentes 1790 trennt er sich von ihnen und wendet sich der rationalen exakten Wissenschaft durch das Experiment zu.

Die Aufklärungszeit war eine ambivalente Zeit. Es wurden in ihr einerseits Wissenschaft, Experimente und die Technik weiter entwickelt. Auf der anderen Seite aber blühten die Geheimwissenschaften, um Gold zu entdecken und die geheimen Zirkel der Logen und Freimaurer, die durch Geheimlehren auf eine Verbesserung der Gesellschaft und des Menschen einzuwirken versuchten und die Erlösung durch ihre Lehre aus dem irdischen Jammertal propagierten. Anscheinend kann der Mensch als duales Wesen, der in sich "ratio" und "emotio" birgt nicht einseitig sein. Goethe sah das Individuum als unteilbar. Das Rationale benötig das Emotionale, oder hat sich mit ihm vernünftig auszusöhnen. Ja Goethe selbst entdeckte auf seiner Italienreise 1786-1788 die Bedeutung der Form, während ihm Deutschland gestaltlos erschien. Nach der Italienreise wendet sich Goethe der Naturwissenschaften zu und beschäftigt sich mit der organischen Entwicklung der Natur.

Doch zurück nach Weimar 1774 und zu Goethes Aufnahme der Zeitereignisse. Als 26 jähriger sah er sich dem politischen Konzept des aufgeklärten Absolutismus verpflichtet und glaubte, Gesellschaftsreformem durch den Staat als dem einzig legitimen Repräsentanten des allgemeinen Interesses bewirken zu könne.(1) Die liberale Begründung des absoluten Staates sah so aus: "Der Herrscher sorgt für den Frieden im Inneren und die Verteidigung nach außen, damit jeder Bürger sein Vermögen vermehren und seine Freiheit genießen kann."(2) Diese Vorstellung versuchte die auseinanderklaffende Idee und Wirklichkeit in Einklang zu bringen. Goethe musste einsehen, dass er sein Reformprogramm nicht durchsetzen konnte. 1780 gestand er sich ein - was ihm schon Wieland 1776 prophezeite- "dass der enorme persönliche Kräfteaufwand in keinem Verhältnis zum Erfolg stehe". Weil Goethe begriff, dass sein Konzept der aufgeklärten Monarchie gescheitert war, bemühte er es als Dichter und Schriftsteller weiterzuverfolgen und konnte seine weiteren Interessen auf das Studium der Naturwissenschaft.

Trotz seiner Beamtenstellung suchte Goethe nach einem gesellschaftlichen Selbstverständnis und wurde aus diesem Grund 1780 Mitglied der Weimarer Freimaurerloge "Anna Amalia zu den drei Rosen". Goethe war nicht unempfänglich für die Ziele der Freimaurer; denn bereits 1774 begeisterte er sich für Klopstocks "Gelehrtenrepublik". Ziel der Loge war die Mitglieder für das Gemeinwesen brauchbar, nützlich und wohltätig zu machen. Nur Gebildete und Adelige wurden aufgenommen. Das "Tiefurther Journal" 1781-1784 bestätigt jene kultivierte gesitige Hofhaltung, die mit der Herzogin Anna Amalia begonne hat, weltfrei, gediegen, in edelsten Formen bestimmt von Zucht und Ehrfurcht als dem immanenten Gesetzeskreis. Goethe veröffentlichte im Journal den Prosahymnus "Natur", das Gedicht "Edel sei der Mensch..." und auf "Auf Miedings Tod". Er vertiefte die Idee der Freimaurer in seinem philosophischen Epos "Die Geheimnisse", das einen Ritterorden zeigt, dessen Großmeister "Humanus" genannt wird und die 12 Ritter eine vorbildliche Gemeinschaft zu leben versuchen. Das Ordenssymbol ist das von Rosen umgebene Kreuz. Inhaltlich spricht das Epos von allgemeiner Menschheitsreligion, allumfassender Sittlichkeit und Menschenliebe. 1783 wird Goethe in den Illuminatenorden aufgenommen. Die Freimaurer-Logen und Orden hatten aufgrund ihres geheimnisvollen Einweihungsritus, ihre Hilfeleistungen und ihre Wertvorstellungen eine große Anziehungskraft auf die gehobenen Stände ausgeübt. Dies besagt, dass der christliche Glaube seine Wirkung eingebüßt hatte und dass das moralische Wertegefüge der Gesellschaft morsch war. Mit den neuen Ideen erhofften sich die verunsicherten Menschen eine Verbesserung ihrer Zustände.

In der Freimaurerloge erfuhr Goethe über die Halsbandaffäre am französischen Hof, die der deutsche Gelehrte Melchior Grimm bereits in "Correspondance litteraire" November 1785 veröffentlichte. Prinz August von Gotha machte sie den Logenbrüder in Weimar zugänglich. Goethe begnügte sich nicht mit diesen Informationen. Er war beunruhigt, dass die französische Hofgesellschaft durch pseudowissenschaftliche Irrlehren und Schwärmereien zugrunde gerichtet werde. Jedenfalls sah Goeth in der Halsbandaffäre den Verfall des Ancien regime. Im Brief an Carl August vom 17. Oktober 1787 aus Italien schrieb er aufgrund seiner Untersuchungen über die Familie Cagliostro in Palerm: "dass Frankreich so weit herunter ist." (3) Bereits Lavater hatte 1780 Cagliostro in Straßburg kennengelernt und teilte Goethe sein Bewunderung für ihn am 3. März mit. Goethe erfasste aufgrund dieser Informationen die politische Brisanz Cagliostros, so dass er an Lavatrer am 22. Juni 1781 schrieb: "Glaube mir, unsere moralische und politische Welt ist mit unterirdischen Gängen, Kellern und Cloaken miniert, wie eine große Stadt zu seyn pflegt, an deren Zusammenhang, und ihrer Bewohnenden Verhältniße wohl niemand denkt und sinnt; nur wird es dem, der davon einige Kundschaft hat, viel begreiflicher, wenn da einmal der Erdboden einstürzt,... Glaube mir, das Unterirdische geht so natürlich zu als das Überirdische, und wer bei Tage und unter freyem Himmel nicht Geister bannt, ruft sie um Mitternacht in keinem Gewölbe." (4) Bereits vor Goethes Italienreise am 3. September 1786 ab Karlsbad begann ein ideologischer Angriff auf die Freimaurergesellschaft und vor allem auf den 1784/85 verbotenen Illuminatenorden, der von Weishaupt in Ingolstadt gegründet wurde, wie auch auf die freimaurerischen Aktivitäten des Grafen Cagliostro. 1784 bezeichnete die "Berlinische Monatschrift" Cagliostro einen unverschämten Buben, der kurzsichtige Menschen um Ansehen und Güter bringe. !786 veröffentlichte Ernst August von Göckhausen, dass der Illuminatenorden eine organisierte Verschwörung zur Vernichtung der Religion, der Gesellschaft und der politischen Autorität sei. Auch damals stellten sich viele die Frage war: "Warum bedarf es der Illuminaten (Erleuchteten) bei so vieler Dunkelheit?" Ihr Intiationritus geschah bei Tag in einem abgelegenen Waldstück, bei Nacht in einem abgedunkelten Zimmer. (5) Es sieht so aus, als ob sich das freimaurerische Geheimnis den moralischen Innenraum als Gegenwelt zum absolutistischen Staat schuf. Das mythische Ritual half angesichts der beginnenden gesellschaftlichen Unsicherheit die animistische Weltangst zu überwinden.

Goethe wusste als Staatsminister über die geheimen Umtriebe seiner Zeit Bescheid. Er erkannte den schönen Schein des höfischen wie auch des bürgerlichen Lebens. Er bemerkte die sozialen Spannungen zwischen Reich und Arm. Für ihn lebte der Adel auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung. Goethe las und hörte die gesellschaftskritischen Stimmen der Intellektuellen. Er war als Mitglied der Logen und Orden über deren politischen Ansichten informiert. Persönlich ist Goethe gegen Revolution und Umsturz. Aufgrund seines gesellschaftspolitischen Wissens sprach er sich für eine harmonische Gesellschaftsveränderung aus. Er verlangte von den Herrschenden kompetente Führungseigenschaften. Goethe forderte von ihnen keine Verachtung der Menge, des Pöbels, sondern Achtung, wie er es in den Venetianischen Epigrammen ausspricht: "Seid nur redlich, und er - glaubt mir - ist menschlich und klug."

Die aufkommende bürgerliche Geschichtsschreibung, die den Aufstieg des Bürgertums zum Thema hatte, sprach von einem Sieg des Rationalismus. So wurde auch die Französische Revolution als Sieg des Bürgertums über den Adel angesehen. Hegel selbst bezeichnete den Vorgang der Revolution als den auf den Kopf gestellten Menschen. Das Bild meinte, dass der Mensch sich seine Wirklichkeit auf seinen Gedanken erbaue. Kant wich vor der unberechenbaren Dynamik des revolutionären Denkens zurück. Er erkannte trotz des Wunsches nach Fortschritt auch die negativen Seiten der Aufklärung. Er war beinahe der einzige Philosoph, der über das Phänomen des Bösen schrieb.

Bereits Ephraim Gotthold Lessing wusste um die politischen Motivationen des freimaurischen Arcanum, wie er in "Ernst und Falk" aufzeigte. Dem gewünschten Fortgang der Geschichte zum Besseren durch die Aufklärung stand gegenüber das Auftreten von falschen Propheten, neuen Messiassen und Dunkelmänner aller Art. Die Aufgeklärten der Zeit um 1770 sahen nicht das Irrationale ihrer Zeit. Goethe, der in seinen Theaterwerken seine Zeit spiegelte und sie im Sinne Brechts als Lehrstücke verstand, sprach davon in der Walpugisnachtszene seines "Fausts":

"Ihr seid noch immer da! Nein, das ist unerhört,
Verschwindet doch! Wir haben ja aufgeklärt!
Das Teufelspack, es fragt nach keiner Regel.
Wir sind so klug, und dennoch spukt´s im Tegel.
Wie lange hab´ ich nicht am Wahn hinausgekehrt,
Und nie wir´s rein; das ist doch unerhört!" (6)

Kant forderte in seinem Aufsatz von 1784: "Was ist Aufklärung?" "Wage selbst zu denken". "Befreiung vom Aberglauben". Die Macht der "Ratio" und ihre Welt- und Lebensentwürfe wurden in den Mittelpunkt der Philosophie gestellt. Es wurde nicht rational, sondern emotional gegen die Entthronung der Theologie und der Kirche gekämpft und auch der feudale Staat zerstört. Im rationalen Ringen um eine bessere Gesellschaft und Zukunft wurde übersehen, dass der Mensch nicht nur ein rationales, sondern auch ein emotionales und ein spirituales Wesen ist. Gegenüber der Ratio und ihren Zirkeln meldeten sich die Esoterik und die Geheimgesellschaften. Sie besetzten die emotionalen und spirituellen Gebiete des Menschen.

III) Graf Cagliostros

Wer ist dieser Graf Cagliostro, mit bürgerlichen Namen Joseph Balsamo (1743 Palermo - 1795 San Leone)? So viel lässt sich bereits sagen, dass in einer krisenhaften Zeit charismatische Männer und Wundertäter an Zulauf gewinnen und als Heilsbringer angesehen werden. In ihnen kristallisierte sich das Okkulte. Suie wurden als Erlöser angesehen.

Keiner wusste, woher Cagliostro kam. Er selbst nannte viele Orte und kannte einige Sprachen. Er hatte die Gabe, Menschen zu beherrschen. Er wusste, wie Menschen zu beeindrucken sind. Er legte sich ein Adelprädikat zu, was ihm den gesellschaftlichen Einlass gewährte. Er trat in goldbestickter Kleidung auf. Seinem Erscheinen ging die Sehergabe, der Heilungserfolg und der Titel eines "Groß-Kophta" (=Großmeister) des ägyptischen Ritus voraus. Er zeigte sich großzügig gegenüber dem armen Volk, in dem er Geld verschenkte und die Arzneien umsonst austeilte. Finanziell wurde er seit 1772ff von der Basler Familie Sarasin unterstützt, der er eine kranke Frau geheilt hatte. Er machte Karriere, weil er sein Geschäft mit den Glauben seiner Zeitgenossen betrieb. Er war ägyptischer Logengründer und damit freimaurerischen Führer und somit für alle Stände seiner Zeit gesellschaftsfähig. Mit seinen Experimenten konnte er sich leicht tarnen. Denn Alchemie und Magie waren interessante Themen der Zeit. Der Wunderglaube der Zeitgenossen war groß, so dass er sich auf die Bibelfestigkeit seiner Zeitgenossen bei seinen Heilerfolgen verlassen konnte. Durch seine Zeichen und Wunder kam er auf seine Kosten. Durch seine übersinnliche Kräfte, die auf parapsychologische einschließlich hypnotische Phänomene zurückzuführen sind, konnte er den früh verstorbenen Lieblingsbruder der Gräfin Elisabeth von der Recke erscheinen lassen und auch den verstorbenen Prost de Ryer, Lyon 1784. (7)

Cagliostro bemühte sich die Lehre des ägyptischen Ritus zu verbreiten. Leider gibt es nur ungenaue Kopien dieser Lehre. In ihr wird von einem höchsten Wesen, von Wahrheit, Menschenrechte, Brüderlichkeit und neuer Gesellschaftsordnung gesprochen. Die Lehre enthält Teile der christlichen Lehre: Gott, Sündenfall, Bußübungen, Wiederherstellung des Menschen und der zerstörten Harmonie. Der ägyptische Ritus wurde bereichert durch Auszüge aus den Schriften der Rosenkreuzer, der Gnosis, der Kabbal und der Schriften Hirams des Erbauers des salomonischen Tempels. Cagliostros Orden des ägyptischen Ritus war offen für Männer und Frauen. Seine Frau Serafina leitete manche Ordensaufnahmen. Seinen Adepten ging es um absolute Erkenntnis. Cagliostro nützte sein Wissen in der Menschenbehandlung und die Erwartungshaltung der Adepten aus. Er baute sich ein Abhängigkeitsverhältnis zu seinen Anhängern auf. Er erpresste sie zum Gehorsam und konnte unter experimentellen Vorwänden oder dem Befehl seines unbekannten Oberen zu gehorchen zu jeder Zeit abreisen, so dass sich seine Anhänger wie verwaiste Kinder fühlten, wie seine Anhänger in Straßburg klagten. Sein Wissen bestand im Initiationsritus und des Verrats. Seine Schüler befanden sich in einer dauernden Stresssituation. Ihr Erfolg hing von der Befolgung der Regel ab. Misslingen war durch das Verhalten des Probanden bedingt. Alles oblag dem Urteil Cagliostros. (7a) Besondere Glaubensakte wurden mit einem Aufrücken in der sozialen Stufenleiter, den Graden des ägyptischen Ritus, belohnt. Cagliostro versprach viel, übernahm keine Verantwortung und hielt sich für alle Fälle bedeckt. Er selbst stellte sich immer als Magier einer langen Tradition vor. Er gab sich als Prophet aus. Er unterstellte sich Oberen und arbeitete mit Zeichen und Riten. Für seine persönliche Ausbildung benötigte er wenige Lehrjahre in London, um sich aus dem kleinlichen Betrüger, Urkundenfälscher und ähnlichen zu einem erfolgreichen Magier zu verwandeln. Goethe räumte bei der Betrachtung Cagliostros ein, etwas Dämonisches sei an ihm zu erkennen, das an den Menschen herantrete und ihn zu einer bestimmten Rolle treibe.

Teile des dekadenten französischen Adels drängten sich zur Aufnahme in seiner Loge oder baten um Experimente, so der norddeutsche Adel. Sie erwarteten sich eine neue Ausrichtung ihres leeren, leichtfertigen und nutzlosen Lebens. Die französische Ärzteschaft sprach sich gegen Cagliostros Heilungsmethoden aus und sah sie als üble Scharlatanerie an. Der norddeutsche Adel stand kritisch zu seinen Experimenten.

Vor allem förderten Gagliostros Größe die vielen Publikationen und die Journals, die bereits von den Zeitgenossen, so Schlosser, Goethes Schwager, beanstandet wurden. Cagliostro war das Gesprächstthema der gebildeten Lesezirkel. Trotz Mahnungen blieb die Lesesucht und die Neugierde nach Sensationellen weiter bestehen. Borowsky bemerkte dazu: "Hundert Mutmaßungen darüber (über Cagliostros Identität) stehen hundert andern nicht mehr nicht weniger wahrscheinlichen Mutmaßunen entgegen." Cagliostro passte in populäre Schablonen wie Wunderheiler, Prophet, Weltreisender, Geheimagent, Messias usw. Das Lesepublikum blieb durch die vielen Publikationen in seinem mythologischen und erzählenden Denken befangen. Es dachte unkritisch. Goethe meinte über ihn: "Cagliostro hat Narren nach ihrer Narrheit behandelt, und da tat er eben nicht unrecht."

Gotthilf Heinrich Schubert veröffentlichte: "Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft", Dresden 1808. Er erkannte Cagliostro als einen Vertreter der Schattenseite der Aufklärung. Cagliostro wird in einer Reihe mit Casanova und seinen Frauengeschichten und mit Marquis de Sade und seiner Lust am Quälen gestellt. Cagliostros Name wurde für das Okkulte als einschlägiges Prädikat gebraucht, so von Karl August Böttiger, der den griechischen Peregrinus Proteus einen Cagliostro des zweiten Jahrhunderts bezeichnete und die "Berlinische Monatsschrift" berichtete 1786 vom Wirken eines "Pommerschen Cagliostro". Ja, Goethes Faust von 1790 wurde in der "Allgemeinen deutschen Bibliothek, 1792, als der "Cagliostro seiner Zeit" bezeichnet. Als faustischer Mensch wurde Goethes Held "Groß-Kophta" in seinem gleichnamigen Lustspiel aus dem Jahr 1791 gesehen. Sein Kophtisches Lied spielte auf Cagliostros Ägyptische Freimauerei an.

"Du mussr steigen oder sinken,
Du musst herrschen und gewinnen,
Oder dienen und verlieren,
Amboß oder Hammer sein."

Die Ambivalenz Faust wie auch Groß-Cophta wie auch der historische Cagliostro sind die Schattenseiten der Aufklärung, die die hypnotische Herrschaft über Natur und Menschen ausdrücken.

Neben den vielen Lebenskünstler und selbstberufenen Propheten ist vor allem interessant die geschichtliche Gestalt Cagliostro und ihr Phänomen, mit dem sich Goethe schon frühzeitig beschäftigte. Cagliostro, ein Mann aus dem einfachen Volk von Palermo, gelang es durch Machenschaften und Geheimniskrämerei in die höchsten Schichten der damaligen europäischen Adelsgesellschaft aufzusteigen. Er war ihr Unterhalter und war ein Ausdruck eines gesellschaftlichen Syndroms. In ihm zeigte sich die Krise der Aufklärung. Der aufklärerische Diskurs ist nicht neutral, sondern normativ und verfügt über verschiedene Verfahren wie Tabuisierung, Verdrängung, Entlarvung und Zensur. All diese Momente wurden von der Gesellschaft gegenüber Cagliostro angewandt. Diese Regelung gehörte sowohl zum adeligen wie auch dann zum bürgerlichen Wertesystem. (8)

Der schillernden Gestalt Cagliostro war anfangs schwer beizukommen und zum anderen brauchte ihn die adelige Gesellschaft zur Unterhaltung bei ihren Zusammenkünften. Selbst Kant konnte auf Anfrage von Ludwig Ernst Borowsky wegen der zunehmenden Schwärmer seiner Zeit keine Antwort geben. Er meinte, dass Widerlegung wider die Würde der Vernunft sei. Stillschweigen sei gegenüber diesem Wahnsinn angberacht. Doch dies erwies sich als ambivalente Sache. Die englische Polizei ging in London gegenüber Cagliostro vor und steckte ihn ins Gefängnis und verwies ihn des Landes; die europäische erst 1785 in Paris; nach dem er 13 Jahren ungestört in Frankreich wirken konnte.

Gewiss wurden okkulte Phänomene und Umtriebe der Zeit erklärt und entlarvt. Doch von den irrationalen Phänomenen und seinen Erscheinungen waren die Zeitgenossen hingerissen und machtlos. So z.B. wurde der animalische Magnetismus eines Franz Anton Mesmers um 1770 irrierend zur Kenntnis genommen. Erst 100 Jahre später wurde er als Elektomagnetismus erkannt. Angebliche Magier wurden von manchen Zeitgenossen überführt. Das Typische für die Zeit der Aufklärung war ihre Begeisterung für die "Ratio" durch die Intellektuellen und für das Faszinosum durch die Menge. Dies versagte manchem Zeitgenossen rational zu denken und zu forschen. Bereits Christlieb Benedict Funk hatte dies trotz der damaligen Experimentalphysik in seinem Buch: "Natürliche Magie oder Erklärung verschiedner Wahrer- und Natürlicher Zauberkünste, Berlin u. Stettin 1783" bemängelt. Christian August Crusius bedauerte 1775 anlässlich der Schröpferschen Geistesbeschwörung, dass keiner der Zuschauer ein Protokoll des Hergangs geschrieben habe. Über Cagliostros Experimente gab es Aufzeichnungen so von Charlotta Elisabeth Konstantia von der Recke Mitau 1779 (1787), ein Bericht des Professors der Naturgeschichte und der Physik Johann Jakob Ferber, wie das Tagebuch des Grafen Moszinky über magische und alchemistische Operationen Cagliostro in Warschau 1780. Ferber beschrieb in seinem Buch das Verhalten des Publikums: "Die Begierde nach seinen (Cagliostros) Geheimnisse ließ ... gar nicht zu, dass man an der Wirklichkeit seiner gerühmten Künste auch nur eine Augenblick gezweifelt hätte. ..., weil man die Sache des Goldmachens der Perlenfabrik, der Diamanenvergrößerung usw. vorher schon nicht für unmöglich hielt, wenig Kenntnis von dergleichen physikalischen Dingen besaß, überhaupt schon lange mit mystischen Grillen sich trug ... und von Kagliostros Allwissenheit fürchtete, dass er die geheimen Zweifel bald entdecken,...und wie er oft drohte davon reisen würde." (9)

Goethe wusste, in Krisenzeit blühen die Schattenseite der Aufklärung der Mystizismus und das Okkulte. Unter dem Namen der Alchemie wurden alle physikalischen und chemischen Experimente, Forschungen und alle geheimen Praktiken seit Zeiten subsumiert. Dies war den Zeitgenossen bekannt. Neu war die Kritik der Aufklärer, so eines Voltaires u. a. an der Kirche. Aus diesem Grund suchte sich der verunsicherte Mensch einen Religionsersatz im Okkulten, in den Geisterbeschwörungen und in den Geheimgesellschaften. Dadurch wurde von den verunsicherten Zeitgenossen das Neoprimitive und das Verlangen nach dem Totalen und Imperialen von charismatischen Verführern wie Cagliostro vorgeführte, teilweise begeistert aufgenommen. Dieser verführerischen Macht war durch die "Ratio" schwer beizukommen.

Goethe selbst spiegelte in seinen Schriften das Verhalten der Menschen wider. Er wollte die Augen für ein vernünftiges höheres Menschensein öffnen. Die Zeitgenossen erkannten seine Botschaft nicht. Sie verhielten sich so, wie es Mozart in seiner Zauberflöte aufzeigte. Der Chor bringt ein Hoch auf Sarastro auf, der von vielen mit Cagliostro in Verbindung gebracht wird:

"Es lebt Sarastro, Sarastro soll leben!
Er ist es, dem wir uns mit Freude ergeben!
Stets mög´er des Lebens als Weiser sich freun,
Er ist unser Abgott, dem alle sich weihen."

Es ist schon eine Tragödie der Geschichte, dass die Gebildeten sehr wohl nüchtern die naturwissenschaftlichen Entdeckungen und Experimente der Zeit beurteilten. Sie sprachen gelassen untereinander über die Magie und Geistererscheinungen. Anders nahm es die Unterschicht des Volkes auf. Sie sah sich bedroht und lebte in Furcht und Angst aus Unkenntnis über diesen Dingen und Vorgängen. Der Weimaraner Wieland erkannte den Hang der Menschen zu Magie und Geistererscheinungen. Nach seiner Meinung halten Aberglauben und Schwärmerei unter dem größten Teile der Menschen mit der Aufklärung unter dem kleinsten Teile immer gleichen Schritt. Das Volk war nicht im Stande wie die zeitgenössischen Philosophen, vor allem wie Immanuel Kant, sich von Versuchen der Geisterseherei zu distanzieren. Kant sah in den himmlischen Visionen Swedenborgs eine wissenschaftliche Grenzüberschreitung. (10) Schiller kannte die Sucht des Lesepublikums nach dem Okkulten. Seine Fortsetzungsgeschichten zu "Geisterseher" in seiner Zeitschrift "Thalia" wurden begeistert aufgenommen. Schiller wusste, dass sich auf den Grund der Aufklärung die Gegensätze von gemein und edel, von gut und schlecht, Sinn und Unsinn aufheben, wie bei der Antwort auf die Frage: "Was ist Wahrheit?", die keiner kennt, weil sie immer neu gesucht werden muss. Schiller wie auch Goethe, keine Grenzüberschreiter der Normen und Werte, setzten dieser moralischen Verunsicherung ihre Werte und Ideale entgegen. Über die Grenzen wagten sich nur einige Freigeister, Scharlatane und Abenteurer, die durch ihr Verhalten alles "ad absurdum" führten, weil sie keine Normen einhalten wollten und Freiheit als Willkür verstanden. Trotz der vielen Schriften gegen Cagliostro, schrieb Zarin Katharina II. drei "1) Der Betrüger 2) Der Verblendete 3) Der sibirische Schaman", die Friedrich Nicolai übersetzte. Die Schwärmerei blieb für Cagliosto weiterbestehen.

Berühmt berüchtigt wurde Cagliostro durch die Geschehnisse der Halsbandaffaire, die Goethe als Umkehrung der Welthistorie nannte. Cagliostro war darin ein Statist. Entscheidende Rollen spielten seine Ehefrau und Cagliostros französische Rivalin De la Motte. Seine Ehefrau Lorenza Felichiania, alias Gräfin Seraphina, mit ihm mehr als 20 Jahre verheiratet spielte eine unverzichtbare Rolle bei seinen Betrugs- und Täuschungsmanövern. Sie war die Deckadresse für seine reichen Geschenke und Zuwendungen. Sie war seine Propagandistin und überzeugte Anhängerin. In der Halsbandaffäre ist Jeanne De la Motte Cagliostros Rivalin. Sie war als Halbwaise auf soziale Anerkennung aus und sah sich als Nachkommin des Hauses Valois. Doch ihr Vorhaben misslang. Goethe ist in der ganzen Angelegenheit weniger vom Betrug in Sachen der Halsbandaffaire erstaunt als vielmehr von der Unsittlichkeit der Stadt Paris, des französischen Hofes und der staatlichen Misswirtschaft. In seinen Augen war die Autorität des Königs durch diese Affäre zerstört.

Die Geschichte des Halsbandes ist kurz erzählt. Jeanne De la Motte täuschte eine vertrauliche Beziehung zu Marie-Antoinette vor. Kardinal Rohan aus einem alten französischen Adelsgeschlecht war als Diplomat am Hofe Maria-Theresia als "persona non grata" ausgewiesen worden. Die französische Königin Marie Antoinette, eine Habsburgerin, beachtete ihn deswegen gar nicht am französischen Hof. Der Kardinal litt darunter und wollte von ihr anerkannt werden. De la Motte bewegte Kardinal Louise-Rene-Edouard de Rohan, der Anerkennung bei der französische Königin gewinnen wollte, ihr ein wertvolles Halsband zu schenken. Caligostro, von Rohan seit seinem Straßburger Auftritt 1781 verehrt, weissagte dem abergläubischen Kardinal, der der Almosier des Königreiches war ein glückliches Ende seiner Ambitionen voraus.

De la Motte bekam das Halsband, gab es aber an die Königin nicht weiter. Ein Versöhnungstreffen mit Marie-Antoinette wurde dem Kardinal am 11. 8. 1784 zu Versailles von De La Motte durch eine Prostituierte vorgetäuscht. Wegen Zahlungsschwierigkeiten des Kardinals flog der Betrug auf und alle daran Beteiligten wanderten in die Bastille. De la Motte versuchte alle Schuld auf Cagliostro abzuwälzen, dem wie auch dem Kardinal nichts nachzuweisen war und deshalb aus der Bastille entlasen wurden. De La Motte wurde wegen ihrer Tat gebrandmarkt. Goethe, der darüber in Tag- und Jahreshefte zu 1789 berichtete, sah darin Anzeichen der Revolution. Auch die Tatsache, dass ein öffentliches Gericht über Schuld und Unschuld des Königshauses urteile, das keiner Gerichtsbarkeit unterworfen war, bewirkte in seinen Augen den Niedergang des französischen Königtums. Zur Genugtuung der Königin wurde Cagliostro und der Kardinal des Landes verwiesen. Cagliostro aber wurde nach seiner Entlassung aus der Bastille von Tausenden von Bürgern Paris wie ein Held gefeiert. Diese Begeisterung durch die Bevölkerung begleitete ihn bis zur Kanalküste. Dann aber beginnt sein Stern zu sinken. Seine Frau verriet ihn wegen seiner bevorstehenden Ehescheidung nach italienischer Art an die Inquisition. In Rom wurde Cagliostro, der im Verdacht stand, ein Revolutionsfreund, ja ein Agent, zu sein, vor dem päpstlichen Tribunal 1791 zugrundegerichtet. (11) Der Papst Pius VI, wandelt das Todesurteil wegen Beteiligung an der Freimaurerei in eine Festungshaft um. 1795 stirbt Cagliostro in San Leone. Rom wurde von den französischen Revolutionstruppen erobert und der Papst ging nach Frankreich.

IV) Goethes als Kriminalist:

Bisher war Goethe in der Sache Cagliostro nur Zuschauer. Doch er wollte hinter Cagliostros Geheimnis kommen und reiste deshalb 1786 nach Italien. Sein Deckname war Johann Friedrich Möller, deutscher Maler. Er wollte vor Ort über Cagliostro Herkunft Erkundigungen einzuholen. Wir können Goethe aufgrund seiner schriftlichen Nachrichten begleiten. "Als ich mich im Jahr 1787 zu Palermo befand, hörte ich an einem öffentlichen Tische manches über Caglistostro, dessen Herkunft und Schicksale reden." Goethe beginnt nachzufragen. Denn Cagliostros Herkunft war seinen Zeitgenossen weitgehend unbekannt. Manche meinten er wäre Araber, Jude, Armenier, Portugiese. Deshalb suchte Goethe auf seiner Italienreise in Palermo vom 2..- 17. April 1787 am 13.- 14. April Cagliostors Familie auf. Goethe veröffentlicht erst 1829 das Charlotte von Stein gewidmete Tagebuch der Italienreise. Bereits 1792 hielt er einen Vortrag in der Freitagsgesellschaft über den Stammbau Cagliostros. "Der Joseph Balsamo, genannt Cagliostro, Stammbaum. Mit einigen Nachrichten von seiner in Palermo noch lebenden Familie". Sein Aufsatz erschien in "Neuen Schriften, Berlin, I, 1792 - Alexander von Cagliostro (1743-1795), der berüchtigtste Abenteurer des 18. Jahrhunderts".

Goethe erfuhr im Gespräch, dass ein palermitanischer Rechtsgelehrte, Baron Antonio Vivona, Frankreichs Rechtsvertreter in Sizilien, bereits einen Stammbaum über Cagliostro aufgezeichnet hatte. "Er war durch das französische Ministerium" veranlasst worden, weil Cagliostro im Prozess in der Bastille die albernsten Märchen" vorbrachte. Der Rechtsgelehrte erzählte vom aufgestellten Stammbau des Joseph Balsamos und von einem erläuternden Memoire mit beglaubigten Beilagen, das er nach Frankreich abgeschickt hatte, wo wahrscheinlich davon öffentlich Gebrauch gemacht wurde. Goethe traf nach einigen Tagen diesen Mann, der ihn den Stammbaum Cagliostro vorlegte. Er gliederte sich so: "Joseph Balsmo´s Urgroßvater mütterlicher Seite war Mattheus Martello. Der Geburtsname seiner Urgroßmutter ist unbekannt. Die Ehe hatte zwei Töchter, Maria mit Josph Bracconeri verheiratet und Großmutter Josph Balsamo´s war. Die andere Tochter mit Namen Vincenza verheiratete sich mit Joseph Cagliostro, in der Nähe von Messina. Diese Großtante war Patin bei Joseph Balsamo, der den Taufnamen ihres Mannes erhielt, den dieser auswärts als seinen Zunamen Cagliostro von seinem Großonkel annahm.

Die Eheleute Bracconeri hatten drei Kinder, Felicitas, Mattheus und Antonio. Felicitas ist mit Peter Balsamo verheiratet, der nach Goethes Meinung Jude ist. Er ist der Vater des berüchtigten Josephs. Balsamos Witwe lebt noch zu Goethes Zeiten. Ihre Tochter Johann Joseph Maria ist mit Johann Baptista Capitmmino verheiratet und hat drei Kinder."

Goethe berichtete, dass er das Memoire des Verfasser erhalten hatte, das auf Taufschein, Ehekontrakt und Instrumenten gründete und mit Sorgfalt gesammelt waren. Diese Angaben stimmen mit den römischen Prozessakten des Vatikans überein. Abenteuerlich ist Cagliostos Jugend. Er war in den Orden der Barmherzigen Brüder eingetreten, zeigte dort Interesse für Medizin. Er wurde aber wegen schlechten Benehmens (=übeln Aufführungen) fortgeschickt. Er verdingte sich in Palermo als Zauberer und Schatzgräber. Cagliostro konnte mit Geschick Urkunden zu fälschen und wurde deswegen eingesperrt. Nach gelungener Flucht heiratete er in Rom die Tochter eines Gürtlers. Er reiste unter den Namen Marchese Pelegrini nach Neapel und dann nach Palermo, wo er erkannt wurde und wieder im Gefängnis landete. Seine Frau Donna Lorenza gewinnt den Prinzen zur Freilassung Joseph Balsamos. Das Paar stand nun unter seinem Schutz. Die Gerichtsakten enthalten kein Verzeichnis über seine Befreiung aus dem Gefängnis. Cagliostro reiste nach Malta und in den Vorderenorient und nahm unterwegs Kontakt zu Magiern und Freimaurern.

Nachdem Studium der Urkunden stellte Goethe fest, dass die Schlussfolgerung des Memoires stimmte, dass Cagliostro und Balsamo identisch sind. Das Memoire des Advokaten wurde bereits in Frankreich veröffentlich, bemerkte Goethe. Er gestand in seinem Vortrag vor der Freitagsgesellschaft, dass auch das Papsttum in Rom eine Veröffentlichung über das Verhör Cagliostros durch die Inquistion 1791 herausgegeben hatte, das der Bibliothekar der Herzogin Anna Amalie in Weimar, Christian Jospeh Jagemann, im gleichen Jahr übersetzte und veröffentlichte. Über das Verhalten des Vatikans bemerkte Goethe: "Wer hätte geglaubt, dass Rom einmal zur Aufklärung der Welt, zur völligen Entlarvung eines Betrügers so viel beitragen sollte, als durch die Herausgabe jenes Auszugs aus den Prozeßakten geschehen ist! Denn obgleich diese Schrift weit interessanter sein könnte und sollte so bleibt sie doch immer ein schönes Dokument in den Händen eines jeden Vernünftigen, der es mit Verdruß ansehen musste, daß Betrogene, Halbbetrogene und Betrüger diesen Menschen und seine Possenspiele Jahre lang verehrten, sich durch die Gemeinschaft mit ihm über andre erhoben fühlten und von der Höhe ihres gläubigen Dünkels den gesunden Menschenverstand bedauerten, wo nicht geringschätzen".

Bereits im Vortrag vor der Freitagsgesellschaft ergänzte Goethe durch seinen persönlichen Besuch bei den Familieangehörigen Cagliostro in Palermo, was in den Akten nicht genannt wurde, nämlich die Familien- und deren Sozialverhältnisse, vor allem der noch lebenden Mutter und Schwester. Goethe schilderte in den Aufzeichnungen seiner Italienreise, wie der Advokat ihn auf den Verhalten von Mutter und Schwester aufmerksam machte, die arm aber ehrbar seien, und dass Goethes Besuch manche Vorstellungen bei den Leuten wecken würde. Trotzdem schickte der Advokat, der wiederum selbst nicht gerne mit den Leuten verkehren wollte, Goethe seinen Schreiber, weil er durch eine List - Vortäuschung eines Familienstipendiums für ihren Enkel Capitummino - die Urkunden von Mutter und Schwester erhielt. Goethe beschloss sich als englischer Kaufmann, Jakob Joff, - im Brief der Mutter Felice Balsamo an ihrem Sohn Josepg vom 16.Apri 1787 wird der Name Wilton genannt - auszugeben und vorgab eine Nachricht von Cagliostro zu bringen, der nach der Gefangnschaft aus der Bastille (Halsbandaffäre) nach London gegangen war. Goethe stellte sich der Familie vor und gab vor Cagliostro zu kennen. Er beobachtete während seines Besuches die Räumlichkeit und die Personen, deren Gesichter durch Blatternarben entstellt waren. Der Schreiber sagte der alten Frau Balsamo, was Goethe wolle. Er musste dolmetschen, weil Goethe den Dialekt nicht beherrschte. Seine Nachricht von der Entlassung ihres Sohnes aus der Bastille erfreute sie. Goethe lernte auch Balsamos Schwester, Frau Capitummino, kennen. Sie erzählte ihm, dass ihr Bruder ihr 14 Unzen schulde. Goethe solle Cagliostro an die Schuld erinnern und möchte ihm einen Brief für ihren Bruder mitgeben. Aus Angst lehnte Goethe ab seine Adresse zu nennen und versprach am nächsten Tag den Brief persönlich abzuholen. Frau Capitummino schilderte ihm ihre Not. Die Mutter fragte die Tochter ob Goethe der katholischen Religion angehöre. Die Tochter antwortet ihrer, dass Goethe ihnen wohlgesonnen sei. Die Mutter Cagliostros sagte Goethe, wie glücklich sie die Nachricht von ihrem Sohn gemacht habe und dass sie für ihn bete. Sie laden ihn zum Rosalienfest ein. Doch Goethe hatte Angst vor einer Begegnung mit weiteren Bekannten der Familie und ging gleich nach den Essen zur Frau Capitummion, um den Brief abzuholen. Zunächst machte sie ihn auf die Neugierde der Verwandtschaft ihn kennenzulernen aufmerksam. Dann schickte sie ihren Sohn wegen des Breifes zum Schreiber. Ihr Sohn fragte Goethe nach dem Reichtum seines Onkels und warum er sie in Not sitzen lasse. Wiederum wurde Goethe nach seiner Rückreise durch Palermo zum Rosalienfest eingeladen.

Goethe war von der Familie angetan und versuchte ihr zu helfen. Doch seine Kasse gab in Palermo 1787 keine 14 Unzen her. In der Freitagsgesellschaft las Goethe den Brief der Mutter Cagliostros, Felice Balsamo vom 18. April 1787 vor. Goethe brachte durch Freunden die 14 Unzen auf und schickte sie ohne Brief und Anzeige an Cagliostros Familie nach Palermo Dezember 1788, aus der "eins der sonderbarsten Ungeheuer entsprungen ist, welches in unserm Jahrhundert erscheinen sind." Mutter und Schwester schreiben ihm einen Dankesbrief an Cagliostro.

V) Literarische Verarbeitung

Goethe war über die Aktivitäten der Freimaurer auch von politischer Seite gut informiert, so dass er am 10. September 1792 an Staatsminister Voigt schreiben konnte: die "Verblendung vorzüglicher Menschen bei solchen frechen Zudringlichkeiten mit Widerwillen verwundert... Nun kagen die directen und indirecten Folgen solcher Narrheiten als Verbrechen und Halbverbrechen gegen die Majestät vor mir, alle zusammen wirksam genug, um den schönsten Thron der Welt zu erschüttern" (17). Am 15. Februar 1831 äußerte sich Goethe zu Eckermann, dass die "fatalae Halsbandsgeschichte" ein historisches Faktum sei, das "der Französischen Revolution unmittelbar vorangehe und ... davon gewissermaßen das Fundament" sei, dass es sich um ein "gutes Sujet" handle, "nicht bloß von sittlicher, sondern von großen historischer Bedeutung". Wie hat dies Goethe theatralisch in "Der Groß-Cophta" umgesetzt?

Er nahm im Lustspiel Partei für Cagliostro, nicht aber in der politischen Wirklichkeit. Als Politiker belieb Goethe ein exemplarischer Problemfall. Das Urteil über ihn reichte von "dem Liberalen im abstrakten Sinne", so Walter Benjamin (12) bis zu "der sich der Revolution, einem gewaltsamen Umsturz des politisch und gesellschaftlich Bestenden, entgegenstenmmte", so Leo Kreutzer (13) Goethe hätte in den Augen seiner Kritiker, die Wirkung der Französischen Revolution nicht erahnt. Er bleibt für sie ein "Reformkonservative" (14) Etwas besser ist die Betrachtung, dass Goethe ein aufgeklärter Reformist des Ancien Regime gewesen sei, der die heroischen Illusionen der Revolution als Realist nicht teilte. (15)

Goethe betrachtete sein Werk anders als seine Kritiker und die späteren Germanisten, die offen gesagt seine Intention nicht verstanden haben. Er selbst hat nach Gliederung seiner Werke 1826 das Lustspiel "Der Groß-Cophta" unter die symbolisch-satirischen Theaterstücke eingeordnet (16). Mit seinem Stück wollte er im Gegensatz zu Moliers Kömödienstil eine sozialgeschichtliche Komödie darstellen, die sich auf zeitgeschichtlich reale Vorgänge innerhalb der privilegierten feudalen Stände des Ancien Regime und auf die Glaubenslehre der Freimaurerbewegung bezog. Dies hatte bereits März 1792 Charlotte von Stein Charlotte Schiller mitgeteilt, dass es Goethe darum ging, "ein Ganzes kritisch zu erfassen." Dies ergibt sich aus der Struktur des Lustspiels und seinen Handlungsabläufen.

Goethes und Schillers Werke (Groß-Cophta und Geisterseher) gingen literarisch auf das Phänomen Cagliostro ein und reflektierten in ihren Werken so wohl den Helden, seine Mitspieler, wie auch das Publikum. Mit ihren Werken wollten sie ihren Zeitgenossen einen Spiegel vorhalten un dsie belehren.

Goethes Lustspiel "Der Groß-Cophta" wurde am 17. 12. 1791 in Weimar aufgeführt. Seine Aufklärungs-Komödie, nach dem Vorbild der italienischen Opera buffo konzipiert, betonte eine kriminelle Marquise, Postfiguration der historischen De la Mott: "Die Menschen lieben die Dämmerung mehr als den hellen Tag, und eben in der Dämmerung erscheinen die Gespenster." In seinem Lustspiel "Groß-Kophta" verband er die historischen Fakten des Diamantenhalsbandes am Pariser Hof und mit einer Sitzung der ägyptischen Freimauererloge. Goethe stellte als weitere Figuren auf: den Kardinal Rohan, Cagliostro, ebenso Marie Antoinette und König Ludwig XVI. Er machte den Kardinal zum Domherrn, Cagliostro zum Comte di Rostro, der Großkophta genannt wurde, die Königin zur Prinzessin bzw. Fürstin und den König zum Fürsten. Nur die Bedienten hatten Eigenleben und wurden ihrer Herrschaft zugeordnet: Saint-Jean, La Fleur und Jack. --1) Aufzug beginnt zur Abendszeit im Haus des Domherrn mit einem Abendessen. Er berichtet der Marquise, dass er gegen die Fastengebote des Grafen verstöße. Die sündige und gottlose Marquise sieht in diesen Geboten des Grafen die Gebote eines Menschen, den Voltaire einen Schwindler genannt hat, der im Namen Gottes über Menschen herrschen will. Sie sieht im Grafen einen Schwelm, der sich der Seele des Domherrns bemächtigen will. (I, 1) Die Marquise entlarvt nicht die Machenschaften des Grafen, sondern benützt sie in ihrem Sinne und informiert den Domherrn, dass die Prinzessin ihm verzeihe und dass der Fürst sich durch eine geliebte Tochter versöhnen lässt. Der Domherr wird Opfer eines Doppelbetrugs und die Marquise tritt in ein Konkurrenzverhältnis zum Grafen. Sie verbietet dem Domherrn im Namen der Prinzessin dies zu verbergen.

Damit ist die Handlung der Betrugsaffäre um das Halsband wie auch um die freimaurerische Betrugsaffaire des Grafen eröffnet. Ziel der Marquise ist Reichtum zu erlangen. Der Graf will eine ägyptische Freimaurerloge eröffnen, um die Menschen aus der Finsternis ans Licht zu führen, und sich als den allwissenden und allmächtigen "Groß-Cophta" präsentieren.

Der Domherr glaubt an ein Wunder als der Graf unerwartet eintrifft. Doch dem ist nicht so, denn der Diener des Domherrn hat den Graf über dessen Fehlverhalten. (I,5) Auf diese Weise wird das Publikum aufgeklärt, dass Wunderglaube nichts als abergläubische Vorurteile sind und missbraucht werden, um andere Menschen zu beeinflußen. Der Graf herrscht die Abendgesellschaft an seine Fastengebote zu halten und an die Zukunftsverheißung der Lehre zu glauben. (I, 4 und 1) Alle beugen sich, nur der tugendhafte Ritter tritt dem Grafen mit erhoben Schwert entgegen, dem der Graf vergibt.

--2.) Aufzug: In ihrer Wohnung setzt die Marquise ihre Betrugsaffäre fort. Sie berichtet ihrem Mann mit Hilfe des Domherrn in den Besitz des Diamantenhalsbandes zu kommen. Den Grafen will sie ausschließen; denn er erscheint ihr als ein großer Schelm und, dass sein Tun Schwindel ist. (II,2) Sie spiegeln sich im Grafen. Deutlich wird dies im 3. Aufzug als sie vom Grafen hört, die größten Geheimnisse, Kräfte und Wirkungen liegen verborgen - "in verbis, herbis et lapidibus"- also in Worten, Kräutern und Steinen. Sie meint, dass mit dem Worte Steine die Diamanten gemeint sein könnten.

Während der Vorbereitung der Betrugsaffäre taucht plötzlich der Graf auf. Die Marquise weiht ihn in ihr Vorhaben ein. Die Marquise und der Marquis passen sich dem Spiel des Grafen an. Sie ahmen seine Wortmagie mit Bibelsprüchen nach. Ja, sie fordern den Ritter wie auch die Nichte - vom Marquis verführt - die Gebote des Grafen zu befolgen. (II, 5 und 4) Die Marquise fordert die Nichte wegen ihres Fehltrittes auf, beim Betrug des Domherrn mitzuwirken und sich zugleich dem nichtsahnenden Grafen als Medium zur Verfügung zu stellen. (II,6)

--3.) Aufzug: die Betrugsaffäre der Marquise und die freimaurerischen Aktivitäten des Grafen erreichen den Höhepunkt. Das Halsband wird an den Boten der Marquise übergeben. Es schließt sich eine Prüfungszeremonie der Loge an, die den Jüngern erlaubt "Groß-Cophta" zu sehen. Es werden durch den Ritter biblische Leitsprüche aufgestellt (III,5). Der Domherr, der erkannt hat, dass die Welt nicht durch die Offenbarung zu retten ist, widerspricht dem Ritter. Der Domherr lehrt: Ziehen sie Vorteile aus der Torheit. Er teilt dem Ritter mit, dass der Graf ihm dies im 2. Grad lehren wird. (III,5) Dieser handelt doppeldeutig: er lobt den Domherr, den Ritter gegenüber bezeichnet er den Domherrn als Egoisten. Der Graf lässt den Ritter zum dritten Grad aufsteigen und den Domherrn im zweiten verbleiben. (III,6) Der 3. Aufzug schließt mit der Logensitzung und der Offenbarung des Groß-Kophtas und seiner Wunder im Medium der Nichte.

--4.) Aufzug: Die Marquise setzt ihre Betrugszene mit dem Domherrn und der Prinzessin fort. Der Graf ist unbeteiligt. Damit ist der Widerspruch zwischen Marquise und dem allwissend scheinenden Grafen deutlich. Indem sie sich ihrer Nichte bedient, beginnt das Ende ihres Erfolges. Die Nichte weigert sich mitzuspielen und informiert den Ritter, der einen Schock erleidet. (IV,8) Er informiert zum Wohl des menschlichen Geschlechtes den Minister, damit die Betrüger bestraft werden. --5.)Aufzug: Die Schweizergarde greift in die Betrugsaffaireder Marquise ein. Der Marquis und die Marquise werden verhaftet. Der Domherr wird aufgefordert das Land zu verlassen. Die Nichte sühnt ihre Schuld im Kloster. Auch der Graf wird verhaftet, weil er am Ort des Geschehens war. Er pocht auf seine Unverletztlichkeit. (V, 8)

Goethe hat das Lustspiel für das zeitgenössische Publikum geschrieben, dass im Ancien Regime beheimatet ist und über die Halsbandaffaire Bescheid wusste. Er machte seinem Publikum klar, dass pseudowissenschaftliche und pseudochristliche freimaurerische Heilslehre nicht in eine paradiesische erleuchtete Welt führen können. Er stellt die Freimaurerei und auch Cagliostros Gebaren bloß. Im Stück gibt Goethe den Hinweis, dass das Ancien Regime durch das aufgeklärte Bürgertum und den moralisch handelnden Staatsbürger abgelöst werden und nicht durch die resignierende Nichte, sondern durch dem aufgeklärten Ritter.

Geothe stellte in seinem Stück "Der Groß-Kophta" deutlich seine Meinung zur leichtgläubigen Zeit und zum unmoralischen Verhalten der Menschen heraus. Ebenso kritisiert er die veraltete Naturwissenschaft. Im "Faust" vertritt er die experimentelle Naturwissenschaft. Er distanziert sich vom christlichen Altruismus des Ritters, der den Widerspruch zwischen partikularen und allgemeinen Interessen nicht lösen kann. Er sieht das Verhältnis zwischen Domherrn und Ritter als ein sich einander ausschließender Gegensatz von Egoismus und Altruismus, der auch durch die Vermittlung des Grafen nicht aufgelöst werden kann. In Goethes Augen sind die Methoden des Grafen (=Cagliostro) und die der Freimaurerei Betrug und Selbstbetrug. Nach Goethes Erkenntnis ist menschlicher Egoismus im Leben von Nutzen, wer anders denkt ist ein Narr. Die Nützlichkeitstheorie des Egoismus befreit von den Banden des Feudalismus. Das Bürgertum mit seinem Individualismus tritt den Siegeszug an. In seiner bildlichen Gestaltung des "Der Groß-Kophta" stellte Goethe den Grafen (=Cagliostro) als Jesus-Imitator, - Anspielung auf Matthäus 4 - und in der Gefangennahme durch die Schweizergarde dar.

Im Stück wendet sich Goethe nicht gegen die Monarchie, weil er für eine aufgeklärte Monarchie ist. Er distanzierte sich vom wundersüchtigen Adel und nicht aber von den Zielen der Aufklärung und der Französischen Revolution. Er schloss das Gewaltsame der Französischen Revolution und das Sprunghafte in der staatlichen Entwicklung aus. Er betonte eine liberale konservative Entwicklung, wie er sich gegen über Eckermann am 3. 2. 1830 äußert: "durch kluges Vorschreiten die öffentlichen Gebrechen nach und nach zu verdrängen suchte, ohne durch gewaltsame Maßregeln zugleich oft ebensoviel Gutes mit zu verderben."

-Goethe verarbeitet die Französische Revolution und die Halsbandaffäre:
"Die Aufgregten" 1793; "Der Bürgergeneral" 1792; "Die natürliche Tochter" 1799-1803; "Hermann und Dorothea"
--Die Frage :Warum sind die zeitgenössischen Autoren nicht vernichtender mit Cagliostro umgegangen? ist damit zu beantworten, dass sie kein breites Lesepublikum hatten. Der Adel selbst durch die Machenschaften Cagliostros betroffen, verhielt sich weiter ambivalent zu ihm. Friedrich Nicolais aufklärerische Überzeugung war, dass den Schwärmern nichts unerträglich sei als Spott. Diese Auffassung fand keinen allgemeinen Konsens. Jean Jacques Rouseau hatte 1758 in seinen "Letter a d´AlembertW jede Ridikülisierung (=Lächerlichmachung) der Tugend verboten. J. Ch, Bode meinte, dass eine Warnung nicht in eine Satire zu fassen sei, sondern in ernsthafter Weise vorzutragen sei. Auch Moses Mendelsohn argumentiert 1785 in seiner Abhandlung: "Soll man der einreißenden Schwärmerei durch Satyre oder durch äußerliche Verbindung entgegenarbeiten?": "Am Ende giebt der Spott doch keinen Unterricht. Ächte Aufklärung ist es doch wol nicht, wenn die Menschen aus Furcht verspottet zu werden, ihre Albernheiten zu verheimlichen suchen." Auch der Illuminat Adoph von Knigge "Über Umgang mit Menschen. In zwey Theilen" 1788 hält ebensowenig Spott oder Persiflage als geeignetes Mittel, um Schwärmer zu bekehren. Die Aufführung "Der Groß-Kophta" in Hamburg 1983 wurde von Hellmuth Krasek in seiner politischen Tiefe erkannt. Goethe hat durch sein Lustspiel der Gesellschaft einen Einblick in historische und okkulte Phänomene (Geisterseher und Schwämer) gegebn. Der über den Verhältnissen lebenden Adelsgesellschaft einen Spiegel vorgehalten, wie moralisch sie verkommen ist und wie sie leichtgläubig auf Schwindler hereinfällt.

Anmerkungen:

1a) Goethes Amtliche Schriften. Veröffentlichung des Staatsarchiv Weimar, Weimar 1950 ff.
1) Hamm, Heinz: Der Theoretiker Goethe. Grundpositionen seiner Weltanschauung, Philosphie und Kunsttheorie, Berlin 1975, 45 ff.
2) Franz. Aufklärung. Bürgerliche Emanzipation, Literatur und Bewußtseinsbildung, (hg.) W. Schröder, Leipzig 1974, S., 286 f.
3) Goethe, Freimauerische Vorträge, Ansprachen, Gedichte und Tafelreden, Frankfurt/M 1880.
4) WA IV, S, S., 149.
5) "Die Illuminaen". Quellen und Texte zur Aufkläungsideologie des Illuminatenordens (1776-1785) hg. Jan Rachold, Berlin 1984, S., 69.
6) Faust I , V. 4158 ff.
7) Silva, Raymond: Die Geheimnisse des Cagliostro. Die phantastischen Abenteurer des größten Magiers im 18. Jahrhundert. Bergisch Gladbach, 1975.
7a) Haller, Johann Samuel: Magie, oder, die Zauberkräfte der Natur, so auf den Nutzen und die Belustigung angewandt werden. 4. Bde, Berlin 1784-1786. Bd. 3, S. , 402.
8) Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, München 1980: Bd. 3: S. 19 ff.
9) Feber, Johann Jakob: Kagliostro in Mitau. In: Berlinische Monatsschrift. Bd. 16, (1790) S., 313 f.
10) Kant, Immanuel: Träume eines Geistessehers, erläutert durch Träume der Metaphysik, hg. v. Rudolf Malter, Stuttgart 1982.
11) Bieberstein, Johannes Rogalla von : Freimaurer, Juden, Liberale und Sozialisten als Verschwörer gegen die Sozialordnung. Frankfurt/M 1978 2. Aufl., S., 89 ff.
12) Benjamin, Walter: Gesammelte Schriften, Bd. II, 2, Frankfurt/M. 1977 S., 732.
13) Keutzer, Leo: Die kleineren Dramen zum Thema Französischer Revolution. (hg.) von Hinderer, Stuttgart 1980, S., 206.
14) Epstein, Klaus: Der Ursprung des Konservativismus in Deutschland. Frankfurt/M 1973, S., 562 f.
15) Heise, Wolfgang/ Kuczynski,J.: Bild und Begriff. Berlin/Weimar 1975, S. 63.
16) BA 17, S. 675.
17) WA I, 33, S., 262.

Pfarrer Dr. Horst Jesse


München 17. 3. 2008